Mit Optimismus gegen die Krise

US-Präsident Barack Obama will die schwere Finanzkrise für einen wirtschaftlichen Neuaufbau der USA nutzen. Unter dem Jubel von Senatoren und Abgeordneten appellierte er am Dienstag in einer Rede vor dem Kongress an die US-Bürger, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Washington. 19-mal muss Barack Obama "Danke" sagen, bevor nach seiner 52-minütigen Rede der donnernde Applaus versiegt. Dann erfüllt er minutenlang geduldig die Autogrammwünsche der Kongressmitglieder, die ihn wie einen Popstar umdrängen und von denen viele schon seit dem Morgen um die besten Plätze im Saal gerungen haben. Die Volksvertreter auf dem Kapitol feiern am Dienstagabend einen Präsidenten, der diesmal nicht als Chef-Warner vor düsteren Konsequenzen, sondern Chef-Optimist und Mutmacher erschienen ist. "Ich schwitze nie", hatte er kürzlich bei einem Grundschulbesuch einem Kind verraten, das wissen wollte, warum er nie Nervosität zeige. Und souverän absolviert er auch seine Rede-Premiere vor beiden Kammern des Kongresses - eine jährliche Tradition für die Amtsinhaber im Weißen Haus.

Die Kernsätze Obamas sind kurz und prägnant - und direkt gegen die Krisenstimmung und die nicht abreißenden Hiobsbotschaften im Land gerichtet: "Wir werden wieder aufbauen. Wir werden uns erholen. Und die Vereinigten Staaten von Amerika werden stärker daraus hervorgehen als zuvor." Politische Beobachter vergleichen die Ansprache, bei der die düsteren Aussagen der vergangenen Wochen fehlen und die Vision einer besseren Zukunft dominiert, mit historischen Aufmunterungs-Reden von Ronald Reagan oder Franklin Roosevelt. "Super cool" bewertet selbst die sonst Obama-kritische konservative "New York Post" den Auftritt. Und Ron Fournier, der für die Nachrichtenagentur AP seit langem das Weiße Haus betreut und bei Pressekonferenzen oft die erste Frage stellen darf, offenbart sich als Obama-Fan.

Großteil der Medien steht hinter Obama



Journalist Fournier erklärt Obama trotz dessen erst fünfwöchiger Amtszeit bereits bewundernd zum "großen Präsidenten", der Amerika die "Kühnheit der Hoffnung" zurückgegeben habe.

Diese Beispiele zeigen: Auch der Großteil der US-Medien scheint sich derzeit Obamas Devise angeschlossen zu haben, die lautet: die Krise wegreden und wegjubeln. Die Kardinalfrage, ob die gewagte Rechnung des Präsidenten aufgeht, angesichts der massiven Rettungspakete für die Konjunktur, die Banken und die Hausbesitzer gleichzeitig die Staatsverschuldung bis 2012 um die Häfte zu reduzieren, wird dabei nur selten gestellt. Viel beeindruckender scheint das ehrgeizige Rundum-Erneuerungsprogramm zu sein: Krankenversicherung für alle, mehr Klimaschutz, besser ausgebildete und bezahlte Lehrer, ein Heilmittel gegen den Krebs, eine striktere Regulierung der Finanzmärkte und nebenbei noch die Lösung der Immobilienkrise und die Rettung der US-Autobauer. Von der "Stunde der Wahrheit" redet Obama - und appelliert an die Bürger, die Zukunft in die Hand zu nehmen. Er weiß die Wähler hinter sich. Zwei Drittel unterstützen Umfragen zufolge seine Politik der massiven staatlichen Steuerung und finanziellen Intervention, und gut 90 Prozent hielten seine Rede für gelungen.

Meinung

Chef-Psychologe der Nation

Positiv denken - das empfehlen Psychologen gerne in Krisensituationen. Barack Obama hat sich am Dienstagabend bei seiner ersten Rede vor dem versammelten Kongress als Chef-Psychologe einer ganzen Nation präsentiert. Aufgeben sei unamerikanisch, man werde es schaffen und das Land werde gestählt aus der derzeitigen Wirtschaftsmisere hervorgehen, lauteten seine Kernsätze. Dazu gab es das wohl ehrgeizigste Regierungsprogramm, das die Bürger in den vergangenen Jahrzehnten präsentiert bekamen. Zur Krise trägt bei, was in den Köpfen der Bürger vorgeht. Das Trommelfeuer der schlechten Nachrichten und der Vorwurf, lange Zeit über die Verhältnisse gelebt zu haben, verführten zum hektischen Sparen - was am Ende den Abwärtstrend der Konjunktur noch verschärft. Ein globales Phänomen. Barack Obama versucht nun, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und dem Volk in dunklen Zeiten Zuversicht zu vermitteln. Gelingt es, könnte das bereits die halbe Miete sein. Die andere Hälfte fußt auf dem Prinzip Hoffnung, dass die eilends zusammengeschusterten Rettungsprogramme Wirkung entfalten werden. Gelingt dies, ist Barack Obama der strahlende Held. Mißlingt es, wird ihn die Krise neben Milliarden an Steuergeldern auch politisches Kapital kosten. nachrichten.red@volksfreund.de

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