Mit orangefarbenem Overall ins Herz der Kernenergie

Mülheim-Kärlich · Seit 2004 befindet sich das Atomkraftwerk (AKW) Mülheim-Kärlich im Rückbau. Im Reaktorgebäude schrauben und sägen die Arbeiter allerorten. Der TV hat den Beteiligten über die Schulter geblickt.

 Mit 162 Metern ist der Kühlturm fünf Metern höher als der Kölner Dom.

Mit 162 Metern ist der Kühlturm fünf Metern höher als der Kölner Dom.

Foto: Falk Straub

Es ist kalt, als ich in Mülheim-Kärlich aus dem Wagen steige. Dicke Nebelschwaden, die vom nahe gelegenen Rhein herüberziehen, hüllen die Türme, das Maschinenhaus und das Reaktorgebäude des Atomkraftwerks (AKW) in einen grauen Schleier. Den Weg zum AKW - eigentlich von weitem sichtbar - hat mir an diesem Morgen mein Navigationssystem gewiesen.
Vom Besucherparkplatz sind es nur ein paar Schritte bis zur Pforte. Das Gelände wirkt verlassen. Das Informationszentrum ist geschlossen. Auf den Parkplatz bin ich ohne Kontrolle gelangt. Von versperrten Toren und bewaffneten Patrouillen mit Hunden, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, ist weit und breit keine Spur.
Bereits hier wird einem klar, dass es sich beim AKW Mülheim-Kärlich um kein gewöhnliches Kernkraftwerk handelt. Seit 2004 befindet es sich im Rückbau. Von ursprünglich 700 Mitarbeitern sind noch 235 übrig. Das Wachpersonal wurde auf ein Minimum reduziert.
Auch an der Pforte ist nicht viel los. Zwei Mitarbeiter vom Werkschutz sitzen hinter dicken Glasscheiben. Nachdem ich meinen Personalausweis abgegeben und meinen Fotoapparat angemeldet habe, bekomme ich einen Besucherausweis. Alleine darf ich das Gebäude jedoch nicht betreten. Dagmar Butz, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des AKW, nimmt mich in Empfang. Gemeinsam passieren wir die Drehkreuze am Eingang.
Vorbei an Kraftwerkskatze Charly geht es von der Pforte über einen Hof zum Verwaltungsgebäude. Drinnen verströmen orangefarbene Treppengeländer und Kugellampen aus Glas und Chrom den Charme der 70er Jahre, in denen das AKW gebaut worden ist.
Auch der Kontrollraum, in den mich Butz als Erstes führt, sieht aus, als hätte jemand die Zeit eingefroren. Teppichboden, Wände und Konsolen sind in Grau, Beige und Braun gehalten. Kaltes Neonlicht flackert an der Decke. An den Wänden hängen riesige Schaltpläne mit Zeigern, Knöpfen und blinkenden Lichtern. Die Relaistechnik des Kontrollraums stammt zum großen Teil noch aus den 70er und 80er Jahren. Die meisten Lichter sind jedoch erloschen. "Als das Kraftwerk noch in Betrieb war, arbeiteten hier elf Mann pro Schicht", sagt Butz. Jetzt sitzen hinter den breiten Tischen mit eingelassenen Computermonitoren gerade mal zwei Mann. Bevor es vom Kontrollraum weiter ins Reaktorgebäude - einer riesigen Stahlkugel - geht, klärt mich Butz über die Gefahren auf. Zu beachten seien vor allem die drei As des Strahlenschutzes: Abstand, Aufenthaltsdauer und Abschirmen. "Um das Risiko zu minimieren, ist es wichtig, zu einer potenziellen Strahlenquelle Abstand zu halten. Außerdem sollte man sich nicht zu lange im Reaktorgebäude aufhalten. Und schließlich gilt es, eine radioaktive Quelle so gut wie möglich nach außen hin abzuschirmen", erklärt Butz.
Die Arbeiter, die mit dem Rückbau des AKW beschäftigt sind, sind in Schichten von maximal acht Stunden eingeteilt - Umkleiden und Anmelden miteingerechnet. Da es in der Stahlkugel selbst keine Toiletten gibt, müssen sie sich ihren Gang aufs stille Örtchen gut einteilen. Denn jedes Verlassen kostet Zeit. Der Weg nach draußen führt zunächst durch einen Ganzkörpermonitor, der sie auf Radioaktivität scannt. Bekleidet sind die Arbeiter mit einem Schutzanzug, einer Schutzbrille, Handschuhen und einem Bauhelm.
In den Kabinen vor dem Reaktorgebäude liegt die Ausrüstung für mich bereit. Nachdem ich meine Kleider im Spind verstaut habe und in den orangefarbenen Overall geschlüpft bin, erhalte ich mein Dosimeter. Das Gerät, das ich nah am Herzen trage, misst die radioaktive Strahlung. Bei erhöhter Radioaktivität schlägt das Dosimeter Alarm. Sicher eingepackt und mit zwei Paar Überschuhen an den Füßen betrete ich das Reaktorgebäude. Durch die Personenschleuse, eine mächtige Stahlröhre mit massiven Ein- und Ausgangstüren, geht es in die Kugel.
Im Gegensatz zum Rest des AKW herrscht hier rege Betriebsamkeit. Überall schrauben und montieren die Arbeiter. Um zu verhindern, dass radioaktive Partikel in die Luft gelangen, zerlegen sie die ausgebauten Rohre, Kabelstränge und Pumpen mit langsam laufenden Sägen. In der Mitte der Stahlkugel bedient ein Arbeiter einen Kran, der knapp unter der Kuppel angebracht ist. "Im regulären Betrieb wäre er für wenige Einsätze mit großen Lasten vorgesehen", sagt Butz. Im Rückbau wird er hauptsächlich dazu verwendet, die zerlegten Bauteile einen Stock tiefer zu transportieren. Dort säubern die Arbeiter sie mit Hochdruckreinigern. Danach werden die Bauteile für den Abtransport feinsäuberlich nach Material getrennt in Gitterboxen verstaut.
Nach einer halben Stunde ist mein Rundgang vorbei. Auf dem Weg zurück in die Umkleidekabine muss ich durch den Ganzkörpermonitor. Das Gerät sieht aus wie eine Mischung aus einem Metalldetektor, wie man ihn von Flughäfen kennt, und einer Telefonzelle. Eine Computerstimme erteilt mir Anweisungen, wie nah ich an die Wände des Monitors herantreten und wann ich mich umdrehen muss. "Puh, keine erhöhte Strahlung festgestellt", denke ich, als sich die Glasscheibe öffnet und mir den Weg zur Umkleidekabine freigibt.
Zurück auf dem Besucherparkplatz hat sich der Nebel verzogen. Warme Sonnenstrahlen fallen auf den Kühlturm, als ich in meinen Wagen steige.

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