"Möchten Sie die Niere annehmen?"

Trier · Organspende in Deutschland soll sicherer, kriminelle Machenschaften sollen ausgeschlossen werden. Eine 61-jährige Frau aus dem Kreis Trier-Saarburg lebt seit über zwei Jahren mit einem Spenderorgan. Sie hat dem Volksfreund ihre Geschichte erzählt.

Trier. "Wenn ein Mensch bereit ist, ein solches Geschenk über seinen Tod hinaus zu machen, so kann ich auch bereit sein, dieses Geschenk anzunehmen." Es sind Worte, die nachdenklich machen. Worte einer Frau, die als Geschenk eine Niere bekommen hat. "Geschenkt" hat sie ihr ein junger Mann - nach seinem Tod. Der 25-Jährige war Organspender und hat Viktoria Schantz aus Föhren (Trier-Saarburg) ein neues Leben geschenkt. "Jede Stunde genieße ich voller Dankbarkeit, und ich liebe jede Stunde meines Lebens", sagt die 61-Jährige heute, zweieinhalb Jahre nach der Transplantation. Sie sehe jeden Tag als Geschenk und Chance, hat sie der Mutter ihres Spenders geschrieben.
Mit elf war Viktoria Schantz an einer chronischen Nierenentzündung erkrankt, litt ständig unter Erkältungen, fühlte sich schlapp, müde, krank. Womöglich hat ihr Hausarzt die Ernsthaftigkeit der Erkrankung nicht erkannt. Irgendwann werden ihre Nierenwerte immer schlechter, sie muss ins Krankenhaus. Die Ärzte dort geben dem Mädchen keine Hoffnung. Ihre Tochter werde bald sterben, sagen sie den Eltern. Doch die geben die Hoffnung nicht auf, schicken das Kind nach Mainz in die Uniklinik. Dort gelingt es den Ärzten zumindest, den Verfall der Nieren zu stoppen - acht Monate muss das Kind in der Klinik bleiben. Das Mädchen überlebt, es geht ihm wieder besser. Viktoria Schantz macht eine kaufmännische Ausbildung und genießt ihr Leben wieder, "in vollen Zügen", wie sie schmunzelnd sagt. Sie zieht früh von Zu Hause aus, heiratet mit 18, die Ehe hält nicht lange. Dass ihre Nieren nicht richtig funktionieren, behindert sie nicht. Vielleicht verdrängt sie die Krankheit auch.
Mit 30 Jahren schmeißt sie ihren kaufmännischen Job, arbeitet dann in einem SOS-Kinderdorf. Dort lernt sie einen siebenjährigen Jungen kennen, den sie betreut und zu sich nimmt und 13 Jahre mit ihm zusammenlebt. Viktoria Schantz schult um, wird Erzieherin. Die Arbeit bereichert ihr Leben. Doch mit 45 verlassen sie zusehends ihre Kräfte. Sie wird immer müder. Nur noch mit großer Kraftanstrengung kann sie arbeiten gehen. Die Nierenwerte werden immer schlechter, die Organe drohen zu versagen. Viktoria Schantz schiebt die notwendige Dialyse, mit der das Blut gereinigt wird, immer wieder auf, denkt, sie brauche sie nicht, hat Angst davor. Sie will nicht abhängig sein von einer Maschine.
Mit 54 Jahren erkrankt sie zusätzlich an Leukämie. Viktoria Schantz geht zur Dialyse - sonst hätte sie vermutlich nicht überlebt. Mit Beginn der Dialyse steht sie auch auf der Liste für eine Spenderniere. Wegen ihrer Blutkrebserkrankung kann jedoch keine Transplantation erfolgen. Drei Mal die Woche habe sie dann für sechs bis acht Stunden "hilflos" an der Maschine gehangen, sei danach müde, erschöpft gewesen, habe sich elend gefühlt, erinnert sie sich an die damalige Zeit. Für Freunde, Bekannte, fürs Ausgehen fehlt der einst so lebenslustigen Frau die Kraft.
Nach einer Chemotherapie ist der Blutkrebs besiegt. Für die notwendige Transplantation muss sie aber drei Jahre krebsfrei sein - und in dieser Zeit weiter zur Dialyse. Dennoch liebt sie das Leben, gibt sich nicht auf, findet in den Mitpatienten und dem Personal im Dialysezentrum neue Freunde. Die Beziehung zu ihrem Partner wird in dieser Zeit noch intensiver.
Doch Viktoria Schantz ist sich nicht sicher, ob sie überhaupt ein fremdes Organ in sich haben will. Zunehmend plagen sie Zweifel. Zumal mehrere Verwandte völlig gegen die Organspende sind; sie fürchten kriminelle Machenschaften und Manipulation. Viktoria Schantz ist der Überzeugung, dass in Deutschland so etwas nicht möglich ist. Die damals 58-Jährige setzt sich über die Zweifel der Verwandten hinweg.
Eine Arbeitskollegin, die einen Spenderausweis hat, räumt ihre letzten Bedenken beiseite. Fünf Wochen später kommt der Anruf aus dem Transplantationszentrum Kaiserslautern: Man habe eine Spenderniere, die sehr gut zu ihr passe. "Möchten Sie die Niere annehmen?"
"Jetzt war ich bereit", sagt die 61-Jährige heute. Die Operation, die Zeit danach, in der sie sich ganz besonders vor Infekten hüten muss, übersteht sie ohne Probleme. "Alles war besser als die Dialyse", sagt sie.
Von wem die Spenderniere ist, die nun in ihrem Körper arbeitet, weiß sie damals nicht. Man habe ihr nur gesagt, dass es sich um ein "junges Organ" handele. Transplantationen verlaufen in der Regel anonym. Das akzeptiert auch Viktoria Schantz.
Doch vor kurzem hat sie der Mutter ihres Spenders einen Brief geschrieben. Die Deutsche Stiftung Organspende leitete ihn weiter. "Wenn ich all diese wunderschönen Dinge erlebe - einen Sonnenaufgang, einen Spaziergang in der Natur und vieles mehr, weiß ich, dass ich diese Lebensqualität meinem Spender zu verdanken habe, der diese Erde so früh verlassen musste", schreibt sie der Frau, von der sie nichts weiß, keine Adresse hat. Über die Stiftung Organspende antwortet die Mutter ihr tatsächlich. Viktoria Schantz erfährt, dass die Niere von einem 25-Jährigen stammt. "Mein Sohn hat das Leben sehr geliebt und sich mit Familie und Freunden umgeben ... Sein Tod hat unser Leben verändert. Ihr Brief hat mir ein Stück Frieden gegeben. Jetzt weiß ich, dass mein Sohn einem lieben Menschen geholfen hat", schreibt die Mutter des Spenders.
Viktoria Schantz will weiterhin über diesen Weg mit der Mutter in Kontakt bleiben, anonym. Die aktuelle Diskussion über die Organspende verfolgt sie kritisch, fürchtet, dass es deswegen weniger Spender gibt. Sie will Menschen Mut machen. Mut machen, selbst Organspender zu werden. Mut machen, ein fremdes Organ zu nehmen, wenn es unausweichlich ist. "Ich hätte nicht gedacht, dass es mir irgendwann mal wieder so gutgeht. Ich könnte wieder Bäume ausreißen, und ich tue es", beschreibt die 61-Jährige ihr neues Leben, das ihr geschenkt worden ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort