Mordversuch an Weihnachten: Obdachloser angezündet - unverletzt

Berlin · Die Videobilder eines Mannes, der eine junge Frau die Treppe einer U-Bahn-Station hinunter tritt, sind noch in den Köpfen. Nun haben Unbekannte in Berlin in der Weihnachtsnacht versucht, einen Obdachlosen im U-Bahnhof anzuzünden. Häufen sich solche Gewalttaten?

Mordversuch an Weihnachten: Obdachloser angezündet - unverletzt
Foto: Andreas Sommer

Auf einem U-Bahnhof in Berlin haben Unbekannte in der Nacht zum ersten Weihnachtstag versucht, einen schlafenden Obdachlosen anzuzünden. „Der Mann blieb unverletzt“, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Die Habseligkeiten des 37-Jährigen hätten aber gebrannt. Bisher geht die Polizei von fünf bis sechs Tätern aus. Die Fahndung läuft, die Kriminalpolizei ermittelt wegen versuchten Mordes. Der U-Bahnhof Schönleinstraße an der Grenze der Stadtteile Kreuzberg und Neukölln wird mit Videokameras überwacht. Nach dpa-Informationen lag der Obdachlose im U-Bahnhof auf einer Bank und schlief, als er mit einem brennenden Gegenstand attackiert wurde. Die Täter zündeten seine Kleidungsstücke an, heißt es im Polizeibericht. Nur dem sofortigen Eingreifen mehrerer Passanten sei es zu verdanken, dass der offenbar alkoholisierte Mann unverletzt blieb, sagte ein Polizeisprecher. Die Helfer hätten die Flammen an dem Papier gelöscht, mit dem sich der Mann offenbar zugedeckt hatte. Nach anderen Angaben hatte der Obdachlose die Gefahr zunächst selbst bemerkt und seinen Schlafplatz verlassen. Der Fahrer einer U-Bahn sah den Brand und kam mit einem Feuerlöscher zu Hilfe. „In diesen Tagen sollten wir Nächstenliebe erwarten. Stattdessen erleben wir Menschenverachtung“, sagte Innensenator Andreas Geisel am Sonntag. „Ich bin entsetzt und danke allen, die beherzt geholfen haben. Das ist wahre Mitmenschlichkeit.“ Bisher gibt es nach Polizeiangaben noch keinen Zeugenaufruf. Erst kürzlich hatte der Fall eines U-Bahn-Treters in Berlin bundesweit Empörung ausgelöst. Ein Mann hatte einer Frau unvermittelt auf einer Treppe in den Rücken getreten - die Frau stürzte und brach sich einen Arm. Der Tatverdächtige wurde inzwischen gefasst. Die Polizei hatte Kritik auf sich gezogen, weil sie erst nach mehreren Wochen mit Videobildern nach dem Täter suchte. „Solche Gewaltvorfälle häufen sich nicht“, betonte Petra Reetz, Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), am Sonntag. Die BVG habe 2011 einen Höhepunkt mit 880 Gewalttaten gegen Menschen registriert. Seitdem seien die Zahlen stark zurückgegangen - 2015 seien es 484 Gewalttaten gewesen. „Es spricht sich herum, dass die Bahnhöfe videoüberwacht sind“, sagte Reetz. Es komme oft nur zu Taten im Affekt. Angriffe auf Berliner Obdachlose hätten nicht zugenommen, sagte Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission, die in der Hauptstadt vielen Menschen auf der Straße hilft. „Was passiert ist, tut mir sehr leid. Aber aus meiner Sicht häuft sich das nicht.“ Mitte November hatten Polizisten nicht weit vom Kölner Hauptbahnhof in einer Unterführung einen Obdachlosen mit brennender Kleidung entdeckt. Die Obduktion ergab, dass der 29-Jährige Opfer einer Gewalttat war. Ob er durch das Feuer starb oder schon vorher umgebracht worden war, blieb unklar. In Berlin haben Tausende Menschen keine Wohnung. Die genaue Zahl ist unbekannt - geschätzt wird sie je nach Quelle und Definition auf 3000 bis 10 000. Experten gehen von zunehmender Obdach- und Wohnungslosigkeit in der Hauptstadt aus. Die Berliner Kältehilfe bietet in diesem Winter rund 700 Schlafplätze. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) öffnen im Winter nachts traditionell einige U-Bahnhöfe für Schutz- und Wärmesuchende. In der Weihnachtsnacht war am U-Bahnhof Schönleinstraße aber regulär Betrieb. Die Züge fahren während der Feiertage rund um die Uhr.

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