Mr. Cool entdeckt sein Kämpferherz

Die US-Bürger erleben in diesen Tagen die Wandlung ihres Präsidenten. Barack Obama legt sich binnen kürzester Zeit mit den mächtigen US-Banken und wenig später auch noch mit dem Obersten Gerichtshof an.

Washington. US-Präsident Barack Obama bläst zur Zeit zum Angriff: Erst die Frontalattacke am Donnerstagabend gegen die Banken der Wall Street, deren Wachstum und Risikofreudigkeit er einen Riegel vorschieben will und am Samstag dann, in seiner wöchentlichen Radio- und Internetbotschaft, eine in dieser Schärfe von einem Regierungschef nur selten erlebte Breitseite gegen den Obersten Gerichtshof, den "Supreme Court". Dieser hatte mit 5:4 Stimmen die Fluttore für unbegrenzte Wahlkampfspenden von Unternehmen geöffnet, zudem dürfen sich Firmen künftig für eine Partei oder einen Kandidaten aussprechen. Fünf konservativ eingeschätzte Richter drückten diese Mehrheitsmeinung durch, von der vor allem die Republikaner profitieren werden. "Dieses Urteil greift unsere Demokratie direkt an," wetterte Obama, "ich kann mir nichts Verheerenderes vorstellen."

Der Oberste Gerichtshof als Quasi-Staatsfeind. Diese Verschärfung der Tonart zeigt, dass derzeit niemand vor dem Zorn des Präsidenten sicher ist. "Mr. Cool", wie Obama gerne von US-Medien bezeichnet wird, hat nach der schmerzhaften Niederlage von Massachusetts und dem Verlust eines wichtigen Senatssitzes sein Kämpferherz wieder entdeckt.

Besonders deutlich wurde dies am Freitag bei einem Auftritt in Ohio, einem durch Rezession und Arbeitslosigkeit besonders schwer getroffenen Bundesstaat. 20 Mal fiel in seiner Rede das Wort "kämpfen" - so, als sei Wahlkampf und die entscheidende Abstimmung nur wenige Tage entfernt. Auch die Verpflichtung seines früheren Wahlkampfleiters David Plouffe als neuer enger Berater im Weißen Haus zeigt, wie künftig der Wind wehen soll: Obama werde sich als wortgewaltiger Anwalt der Unter- und Mittelschicht präsentieren, die weiter um ihre Jobs fürchten muss, während beispielsweise die Banker an der Wall Street wieder Milliarden-Boni verteilen, lassen seine Helfer durchblicken.

Auch die jüngste Attacke gegen den Supreme Court folgt der populistischeren Strategie "die da unten gegen die da oben". Die Unternehmens-Lobbyisten hätten nach dem Urteil nun die Möglichkeit, ihren Einfluss auf die Volksvertreter auszuweiten, beklagt der Präsident und kündigt neue Gesetzesberatungen an.

Doch ob die unternehmerfreundlichen Republikaner zu einer Kooperation bereit sind, die ihnen den Geldzufluss abschneiden würde, ist fraglich. Schließlich finden im November Kongress-Zwischenwahlen statt, und nach dem Fiasko der Demokraten in der einstigen Kennedy-Hochburg Massachusetts hofft die Opposition nun auf eine landesweite Abstrafung für den Präsidenten. Doch Obamaist kampfeslustig: "Ich bin nicht angetreten, um diese Herausforderungen wie einen Ball die Straße herunter zu treten."

Obamas Neustart

Vor einem Jahr, bei seiner Vereidigung, wies Barack Obama Zweifler in die Schranken: Es gebe Menschen im Land, die nicht daran glauben würden, dass man viele große Projekte gleichzeitig bewältigen könne. Doch diese Kritiker würden sich irren. Heute weiß der US-Präsident: Die Warnungen enthielten mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Denn Obama müsste nicht mit ungewohnt drastischen Verbalattacken in die politische Offensive gehen, hätte er sich nicht in den ersten zwölf Monaten seiner Amtszeit mit zuviel Projekten verzettelt und dabei das Wichtigste vernächlässigt: die Schaffung von Arbeitsplätzen. Nun, nach der Wählerohrfeige von Massachusetts, hat der Präsident die Zeichen der Zeit erkannt und wagt einen Neustart. Die beißende Kritik am Obersten Gerichtshof ist dabei - wie zuvor die Banken-Schelte und die Reformpläne für die Finanzbranche - das Salz in der Suppe. Obama setzt auf die Frustration jener Menschen, die ihren Job verloren haben oder um ihn bangen, um das Eigenheim zittern oder bereits den Bankrott anmelden mussten, während große Konzerne ihren Einfluss ausweiten oder Banken wieder Rekordgewinne vermelden und Riesen-Boni auszahlen. Doch am Ende kommt auch der "Klassenkämpfer" Obama nicht an der Frage vorbei: Haben er und sein Kabinett genug getan, um die verheerenden Auswirkungen der Rezession auf den Bürgeralltag abzumildern. Nun hat Obama erste Spuren von Selbstkritik erkennen lassen. Eine Grundvoraussetzung, will er bei jenen punkten, die ihm den Rücken zugekehrt haben. nachrichten.red@volksfreund.de

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