München ’72: Der Terror zerstört den olympischen Traum

München · Vor 40 Jahren: Der heitere, friedliche Teil der Olympischen Spiele in München endet abrupt. Am 5. September werden elf Mitglieder der israelischen Mannschaft von palästinensischen Terroristen ermordet. Zwei Athleten aus der Region, die Hammerwerfer Edwin Klein und Karl-Hans Riehm, erleben die Geiselnahme aus unmittelbarer Nähe. Sie erinnern sich im TV.

 -+- WG: für olympia-pano, riehm und klein ------------------------------------------- Von: Feichtner Andreas Gesendet: Donnerstag, 30. August 2012 13:01:30 Betreff: für olympia-pano, riehm und klein Diese Nachricht wurde automatisch von einer Regel weitergeleitet.

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Foto: (g_pol3 )

Die Auswirkungen: Spätes Aufarbeiten

Olympia 1972 - das war die erste Teilnahme für die beiden Konzer Edwin Klein und Karl-Hans Riehm, aber nicht die letzte. Beide erlebten 1976 in Montreal, wie sich Olympia verändert hatte.

"Dort wurden wir bewacht wie die Kronjuwelen. Die Kanadier hatten eine solche Angst, dass sich so etwas wie in München wiederholen könnte", erinnert sich Riehm, der dort nur um zwei Zentimeter eine Medaille verpasst hatte. 1984 gewann der zweifache Rekordhalter in L.A. die Silbermedaille. Die beiden Hammerwerfer hatten sich auch 1980 für die Olympischen Spiele in Moskau qualifiziert - aber damals kam ihnen die Politik dazwischen: Die Bundesrepublik Deutschland boykottierte aus Loyalität zu den USA die Spiele in der UdSSR, nachdem sowjetische Truppen im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert waren. Riehm war damals Favorit auf die Goldmedaille, Edwin Klein beendete 1980 die Karriere - und hat danach nie wieder einen Hammer geworfen. Seinen Abschluss mit Olympia 1972 machte er erst zwei Jahrzehnte später. "Ich hatte 1991 und 1992 für mein Buch ‚Bitterer Sieg\' recherchiert, hatte Kontakt zu Sportlern der ehemaligen israelischen Mannschaft von München und habe mit den Eltern von zwei der 1972 ermordeten Sportler gesprochen. Sie haben zu mir gesagt: Es war richtig, dass die Spiele damals weitergingen. Erst da habe ich meinen Abschluss gefunden."AF4. September: Ein Spätsommer-Märchen


Montag, 4. September, morgens gegen 11 Uhr im Olympiastadion München. Für Edwin Klein (24) und Karl-Hans Riehm (21) steht die erste Olympia-Aufgabe an - die Qualifikation im Hammerwerfen.

66 Meter sind nötig, um ins Finale zu kommen. Das ist für die beiden Leichtathleten vom TV Germania Trier keine Herausforderung. Riehm zieht die lange Trainingshose gar nicht erst aus. "Das habe ich damals jeden Tag aus der kalten Hose geworfen", sagt er. Aber Olympia ist anders, im eigenen Land, vor einem euphorischen Publikum. Riehm wird Jahre später Weltrekorde schleudern und Titel sammeln. Aber an diesem Spätsommer-Tag dreht die Nervosität mit: "Ich habe einen ‚Ungültigen' geworfen. Das ist mir sonst nie passiert."
Edwin Klein hat die Bilder noch im Kopf, den Jubel im Ohr. "Das war nur die Qualifikation, es war morgens - und trotzdem hatten wir das Gefühl, uns platzt das Trommelfell." Beide schaffen die Qualifikation. Das heißt: Morgen ein Ruhetag und dann volle Konzentration auf das Finale am 6. September. Am besten, ohne sich im olympischen Dorf allzu sehr ablenken zu lassen. Denn Ruhetag und olympisches Dorf - das passt über eine Woche nach der Eröffnung der Spiele nicht in den gleichen Satz. In den Diskotheken werden Medaillen gefeiert, Enttäuschungen im Alkohol ertränkt. Das Team der Bundesrepublik hat fünf Tage lang auf das erste Gold warten müssen. Aber selbst der Boulevard bleibt geschmeidig: "Die anderen siegen, wir bleiben heiter!", titelt die Abendzeitung München. 36 Jahre nach Olympia in Berlin sollte nichts, aber auch gar nichts an Hitler-Deutschland erinnern. Wer seinen Wettkampf noch vor sich hat, muss schon mal flüchten. "Im olympischen Dorf war der Teufel los", sagt Klein, der sich mit Riehm und fünf weiteren Teamkollegen ein 130-Quadratmeter-Apartment teilt. Die Zwei-Wochen-Heimat: Ein Wohnblock in der Connolly-Straße, krachneu, sechster Stock, mit Balkon. Die Stimmung ist entspannt, die Kontrollen sind lasch.
"Ich schleuse dich morgen ins Dorf", sagt Karl-Hans Riehm zu seiner Freundin Elfriede, die mit seinen Eltern in Dachau untergebracht ist. "Das ist kein Problem. Ich bekomme dich hier rein. Ich besorge dir einfach eine Akkreditierung von einer Mannschaftskameradin." Dazu kommt es nicht mehr.
5. September: Die falsche Hoffnung und das Drama


Irgendwas stimmt nicht. Das ist die erste Eingebung, die Edwin Klein hat, als er am Morgen des 5. September vom Apartment auf die Straße schaut.

Er sieht Männer, die Straßenschuhe zum Trainingsanzug tragen. "Kein Sportler macht so etwas", denkt er. Es sind keine Olympioniken. Es sind leidlich getarnte Polizisten.
Seit halb fünf Uhr morgens ist im olympischen Dorf nichts mehr wie es war. Auch wenn das den Sportlern und der Öffentlichkeit erst nach und nach bewusst wird. Um diese Zeit klettern acht palästinensische Terroristen - im Trainingsanzug -, über den Sicherheitszaun des Dorfs. In ihren Sporttaschen verbergen sie AK47-Maschinenpistolen und Handgranaten. Sie werden gesehen, aber für spät heimkehrende Sportler gehalten.
Die Palästinenser besetzen das Quartier des israelischen Olympia-Teams. Sie erschießen den Trainer der Gewichtheber, Mosche Weinberger, und Gewichtheber Josef Romano. Neun weitere israelische Sportler nehmen sie als Geiseln.
80 Meter Luftlinie entfernt: Karl-Hans Riehm und Edwin Klein können erst nach und nach zusammenpuzzlen, was in ihrer Nachbarschaft passiert. "Wir haben von unserem Balkon aus auf das israelische Quartier schauen können, dort waren aber die Vorhänge zugezogen", erinnert sich Klein. Zeitlich versetzt habe man das Haus aus anderer Perspektive gesehen: "Die Terroristen konnten sich im Fernsehen anschauen, wo sich die Polizei in Stellung gebracht hat." Das bleibt nicht der einzige taktische Fehler.
Ultimaten verstreichen - und die Unruhe im Dorf wächst. Für Klein sind es lange Stunden der Ungewissheit. "Wir haben mit anderen Sportlern diskutiert, aber wir konnten die Situation nicht einschätzen." Gegen 22.20 Uhr wächst die Hoffnung. "Wir haben am Balkon gestanden, als die Terroristen mit Hubschraubern zum Flughafen Fürstenfeldbruck ausgeflogen wurden. Wir dachten, damit ist das Ganze überstanden", erinnert sich Riehm. Eine gute Stunde später macht sich Erleichterung breit: Das Fernsehen berichtet, alle Geiseln seien entkommen. Alle hätten überlebt. Eine schlimme Fehlmeldung. Zu dem Zeitpunkt ist die Aktion noch nicht vorbei. Am Ende der Nacht sind alle neun Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist tot.
6. September: Es geht weiter. Es muss.

 Karl-Hans Riehm aus Konz nahm als Hammerwerfer 1972 an den Olympischen Spielen in München teil. Der Besitzer einer Schreinerei lebt mit seiner Frau in Konz.

Karl-Hans Riehm aus Konz nahm als Hammerwerfer 1972 an den Olympischen Spielen in München teil. Der Besitzer einer Schreinerei lebt mit seiner Frau in Konz.

Foto: Andreas Feichtner
 Edwin Klein aus Konz war 1972 als Hammerwerfer bei den Olympischen Spielen in München dabei. Heute ist er als Schriftsteller (Thriller, Kinderbücher) erfolgreich.

Edwin Klein aus Konz war 1972 als Hammerwerfer bei den Olympischen Spielen in München dabei. Heute ist er als Schriftsteller (Thriller, Kinderbücher) erfolgreich.

Foto: Andreas Feichtner


Die Nacht ist lang. Das Fiasko in Fürstenfeldbruck in der Nacht vom 5. auf den 6. September sorgt weltweit für Fassungslosigkeit - und das Olympische Dorf wird zum Zentrum der Trauer.

"Wir waren in jeder Beziehung geschockt. Ich habe Sportler wie Schoßhunde weinen sehen. Leute, die vorher nie Emotionen gezeigt hatten", sagt Edwin Klein. "Wir hatten damit gerechnet, dass die Spiele daraufhin abgebrochen werden." IOC-Chef Avery Brundage wird aber schon am Morgen bei der Trauerfeier verkünden, dass die XX. Olympischen Spiele hier und heute nicht vorbei sein dürfen. "The games must go on."
Ist das die richtige Entscheidung? Oder beugt man sich damit dem Terror? Edwin Klein ist am Tag nach der blutigen Geiselnahme, nach der dilettantischen Terrorbekämpfung, unschlüssig. Vier Jahrzehnte später ist er sich hundertprozentig sicher: "Es war richtig, dass die Spiele weitergingen."
Karl-Hans Riehm macht sich in diesen Tagen viele Gedanken. "Ich war erst 21 Jahre alt. Aber ich habe mir damals ernsthaft überlegt, meine Karriere zu beenden." Es musste weitergehen, es ging weiter. Für Riehm und Klein schon am Tag nach der Trauerfeier mit dem Finale im Hammerwerfen. Im gleichen Stadion wie in der Qualifikation, aber in einer anderen Welt. "Es war so, als wäre jemand aus der eigenen Familie gestorben", vergleicht Riehm. "Man kann weitermachen und einen Wettkampf durchziehen, aber Spaß hatte da sicher keiner."
Riehm landete letztlich auf Platz zehn, Klein wurde Siebter - aber das erscheint in diesem Moment alles nicht so wichtig, wie es vielleicht in den vier Jahren zuvor schien. Riehm ging auch nicht zur großen Schlussfeier. "Ich sollte hin, aber ich konnte mich da nicht verbiegen. Mir war nicht nach Feiern zumute. Da habe ich mich verabschiedet, ins Auto gesetzt und bin nach Hause gefahren."
Den Sportlern war freigestellt wo rden, ob sie nach dem Anschlag auf das israelische Team noch teilnehmen wollten oder nicht. Der einzige deutsche Sportler, der auf einen weiteren Olympia-Start verzichtete, war Sprinter Manfred Ommer, der sich später auch als Präsident beim Fußball-Bundesligisten FC Homburg einen Namen machte.

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