Müntefering Kanzler und Beck Vorsitzender?

BERLIN. Die Genossen wehren sich vehement gegen das Gerücht, SPD-Vorsitzender Franz Müntefering werde Kanzler Gerhard Schröder ablösen, damit auf Neuwahlen verzichtet werden kann. Als wahrscheinlich gilt hingegen, dass der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck im November Parteivorsitzender wird.

Es war im Mai 2004, als ein ähnliches Gerücht in Umlauf war. Damals stand die SPD laut Umfragen in der politischen Stimmung bei schlappen 21 Prozent, woraufhin der "Stern" schrieb, Gerhard Schröder plane angesichts des desolaten Zustands seiner Regierung und seiner Partei den Abgang und wolle Banker in New York werden. Darauf angesprochen, antwortete SPD-Chef Franz Müntefering letztes Jahr: "Das ist Quatsch und bösartig. Der Kanzler ist Kanzler - und bleibt Kanzler." Gilt diese Aussage heute auch noch? Seit dem Neuwahl-Coup und dem planlosen Vorgehen der beiden Spitzengenossen ist in Berlin fast alles denkbar. Die jüngste Idee, die SPD könnte auf Neuwahlen verzichten, indem sie Kanzler Schröder gegen einen Kanzler Müntefering auswechselt, ist allerdings selbst jenen Sozialdemokraten zu absurd, die sich in diesen Tagen vieles vorstellen können. Als wahrscheinlich gilt hingegen etwas anderes: Dass der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck Franz Müntefering im November als Parteivorsitzender beerben wird. Seit Wochen brodelt die Berliner Gerüchteküche, und das hat damit zu tun, dass niemand genau weiß, wie der Kanzler die Vertrauensfrage organisieren und Neuwahlen herbeiführen will. Es kommt noch etwas hinzu: Mehrfach hat das rote Führungspersonal in den vergangenen Wochen die Wahrheit zu seinen Gunsten verbogen - man nehme nur den Zeitpunkt des Telefonats von Kanzler und Bundespräsident Horst Köhler über Neuwahlen. Es fand viel später statt als das Regierungslager zunächst kolportiert hatte. Köhler erfuhr von den Plänen vielmehr erst aus dem Fernsehen und dann von Schröder. Auch der Zoff mit dem kleinen Koalitionspartner um die Senkung der Unternehmenssteuern war vom Willy-Brandt-Haus und nicht von den Grünen inszeniert worden, wie sich später herausstellte. Spekulationen wildester Art hat die SPD-Spitze dadurch selbst Tür und Tor geöffnet. Eine besonders pikante machte gestern in der Hauptstadt die Runde: Unter Berufung auf ein nicht namentlich genanntes führendes SPD-Mitglied meldete die Nachrichtenagentur ddp, dass im SPD-Parteivorstand bereits "detailliert" ein "ernsthaftes Szenario" erstellt worden sei, demzufolge Gerhard Schröder als Kanzler zurücktreten und durch SPD-Chef Müntefering ersetzt werden soll. Schröder selbst, so ddp tollkühn, sei vom Absinken seiner persönlichen Umfragewerte im Vergleich zu CDU-Chefin Angela Merkel regelrecht "geschockt". "Alles erstunken und erlogen"

Sollte sich das Blatt nicht in drei Wochen wenden, werde Müntefering versuchen, als Kanzler bis zum Herbst 2006 einen Stimmungswechsel bei den Wählern zu erreichen. "Erstunken und erlogen", lautete gestern die geharnischte Reaktion von Generalsekretär Klaus Uwe Benneter. Ein anderes Szenarium hat dagegen mehr Realitätsgehalt: Wenn im September die Bundestagswahl mit Pauken und Trompeten für die SPD verloren gehen sollte, wird auch Parteichef Müntefering in Mithaftung genommen. Er habe Schröders Politik voll mitgetragen und könne einen Neustart nicht glaubwürdig vertreten, hieß es dazu aus Vorstand und Fraktion. Nachfolger soll Parteivize Kurt Beck werden, den sich viele Sozialdemokraten als "einzige Alternative" vorstellen können.

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