Münteferings Instinkt

BERLIN. Die SPD kann von Glück sagen, dass ihr künftiger Koalitionspartner mit viel Hingabe die öffentliche Selbstzerfleischung pflegt. So fallen die Schlagzeilen in eigener Sache etwas kleiner aus. Dabei sieht sich nicht nur Angela Merkel mit Querschüssen aus den eigenen Reihen konfrontiert. Der Nimbus von Franz Müntefering beginnt nun auch zu bröckeln.

Formal gesehen geht der Streit um die Besetzung des SPD-Generalsekretärs. Doch dahinter steckt ein Grundsatzkonflikt über das Profil der SPD und ihre künftige Rolle in einer großen Koalition. Und Müntefering macht dabei keine glückliche Figur. Mit der Ankündigung, seinen langjährigen Vertrauten und derzeitigen Geschäftsführer der SPD, Kajo Wasserhövel, auf dem Parteitag Mitte November zum Generalsekretär vorzuschlagen, hat Müntefering offenen Widerspruch in mehreren Landesverbänden provoziert. Das ist deshalb erstaunlich, weil die SPD ihrem geliebten Vorsitzenden bislang nahezu blindlings gefolgt war. Genauso verwunderlich ist aber auch die Tatsache, dass Müntefering seine Personalie im "Spiegel" offiziell machte. Bislang war der SPD-Chef in aller Regel darauf bedacht, die politische Kleiderordnung zu wahren. Erinnert sei nur an das Personaltableau für die acht sozialdemokratischen Kabinettsposten, das Müntefering erst in Präsidium und Vorstand absegnen ließ, bevor er damit zu den Journalisten ging. Auch sein Entschluss, selbst in die Regierungsmannschaft einzutreten, wurde von einem geschickten Schachzug an anderer Stelle flankiert: Münteferings Lücke an der Fraktionsspitze füllt künftig Peter Struck aus. In dieser Funktion erfreute sich Struck bei den SPD-Abgeordneten schon vor Jahren großer Zuneigung. In einem Anflug von Selbstüberschätzung hat Müntefering nun offenbar das sichere Gespür für parteiinterne Befindlichkeiten verlassen. Die Instinktlosigkeit begann damit, eine Abschaffung des Generalsekretärpostens in die öffentliche Diskussion zu tragen, um die Rolle Wasserhövels aufzuwerten. Dazu müssten jedoch mindestens zwei Drittel der Parteitagsdelegierten Ja sagen. Ein wenig aussichtsreiches Unterfangen, bedenkt man, dass der Job in nicht unerheblichem Maß das Aushängeschild einer Partei darstellt.Zwei Züge rollen aufeinander zu

Zugegeben, bei einem starken Vorsitzenden wie Müntefering fällt ein blasser Amtsinhaber wie Klaus Uwe Benneter nicht übermäßig störend ins Gewicht. Doch eine Kräfteverschiebung ist programmiert, weil sich Müntefering als Arbeitsminister und Vizekanzler naturgemäß weniger um die Partei kümmern kann. Er selbst zieht daraus den Schluss, eine Art Regierungssprecher im Willy-Brandt-Haus zu installieren. Also einen treu ergebenen Mitstreiter wie Wasserhövel, der eins zu eins umsetzt, was sein Ziehvater denkt. Die Kritiker wiederum fürchten um das Profil der SPD und pochen auf eine unverwechselbare Besetzung in Gestalt der Parteilinken Andrea Nahles. Damit rollen bei den Sozialdemokraten zwei Züge aufeinander zu, von denen noch niemand recht sagen kann, wie sie zu stoppen sind. Eine Kampfkandidatur Wasserhövel gegen Nahles könnte Müntefering erheblich beschädigen. Gerade vor dem Hintergrund einer großen Koalition muss er damit rechnen, dass der Ruf nach eigenen Akzenten der Partei lauter wird.

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