Muskelspiel des grünen Partners

Berlin. Streit zwischen Partnern ist beinahe alltäglich, auch in Koalitionsparteien. Interessengegensätze gehören zum Leben. Wenn sich aber die Zwistigkeiten häufen, ist Gefahr im Verzuge. Wie in Berlin, wo dieser Tage zu beobachten ist, dass SPD und Grüne kaum noch in der Lage sind, aufbrechende Konflikte zu lösen.

Beispielhaft für die Krise in Berlin steht der Streit um das Zuwanderungsgesetz, der am kommenden Wochenende zu eskalieren droht. Die Grünen, deren Zuwachs bei der Bundestagswahl im September 2002 auch der schon damals dümpelnden SPD die Macht gerettet hat, schicken sich jedenfalls an, nach Jahren der offenen und verdeckten Demütigung durch den großen Bruder nun die kleinen Muskeln spielen zu lassen. Ihre Geduld mit der Christenunion, die das Regierungslager in den unendlichen Zuwanderungsverhandlungen am taktischen Nasenring durch die politische Manege führt, ist erschöpft. "Das Spiel ist aus", hatte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer am Montag getönt, nachdem die Union im Vermittlungsausschuss abermals Nachforderungen gestellt und somit auch den Blauäugigen im Lande klar gemacht hatte, dass sie nur bei einem nahezu reinrassigen Unionsgesetz bereit ist, im Bundesrat zuzustimmen. Dass der zuständige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) daraufhin fast ausflippte, und nicht die Union, sondern die Grünen kritisierte, passt ins Bild: Man neckt sich nicht mehr, man liebt sich nicht mehr, man geht sich auf die Nerven. Der inhaltliche Sachverhalt ist zu komplex. Seit Jahren wird um die Zuwanderung gestritten. Für die Ökopaxe war und ist die Migration ein elementares Thema. Deshalb verstehen sie auch keinen Spaß in dieser Frage - ebenso wenig wie Otto Schily, dem nachgesagt wird, er wolle sich mit dem "Vermächtnis" eines Zuwanderungsgesetzes aus der Politik verabschieden. Hintergrund: Der Kabinettssenior wird im Juli 72 Jahre alt und ist seit längerem amtsmüde. Am Mittwoch haben sich die Fronten in der Koalition noch einmal verhärtet. Trotz flehentlicher Bitten und Mahnungen aus der SPD beharrte die Spitze der Grünen darauf, die Verhandlungen mit der Union platzen zu lassen. Allemal besser sei es, allein mit der SPD jene Maßnahmen zu beschließen, für die man im Bundesrat keine Zustimmung braucht (Integrationsregelungen oder die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung), als weitere Zumutungen der Union zu schlucken. Parteichef Bütikofer, Verhandlungsführer Volker Beck oder der Rechtsexperte Jerzy Montag: Alle sahen "keinen Sinn mehr" in weiteren Gesprächen. Der Hinweis des SPD-Generalsekretärs Klaus Uwe Benneter, die Schmerzgrenze sei doch noch gar nicht erreicht, wirkte angesichts der wirklichen Empfindung der Grünen nachgerade hilflos. Jetzt hoffen die Verantwortlichen in der SPD inständig, "eine kluge Formel zu finden" (SPD-Verhandlungsführer Dieter Wiefelspütz) und den störrischen Partner doch noch zur "Einsicht in die Verantwortlichkeit" (Regierungssprecher Bela Anda) bewegen zu können. Am Freitag trifft sich die Koalitionsrunde aus Partei- und Fraktionschefs beim Bundeskanzler zum ultimativen Versuch, die Kuh vom Eis zu holen. Dem Vernehmen nach will Gerhard Schröder aber schon im Vorfeld den grünen Patriarchen Joschka Fischer drängen, mäßigend auf seine Parteifreunde einzuwirken. Doch die Chancen stehen schlecht: Mehrere grüne Landesverbände stützen ausdrücklich den harten Kurs der Berliner Führung. Die Basis sieht darin einen Akt der Befreiung. Zudem hat auch Fischer (wie die Union) den 13. Juni im Auge, wenn Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen anstehen. Ein abermaliges Einknicken vor den Genossen, die mit den grünen Mehrheitsbeschaffern sonst ja auch nicht zimperlich umgehen, könnte schließlich wertvolle Stimmen verärgerter Sympathisanten kosten. Es wird deshalb spannend, ob die Grünen auf ihrem kleinen Parteitag am Samstag die SPD tatsächlich so alt aussehen lassen, wie sie ist.

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