Mutterschutz kontra Frühverrentung

Berlin · Die abschlagfreie Rente mit 63 war der SPD ein politisches Herzensanliegen. Doch nun stellt sich heraus, dass dabei ausgerechnet Mütter leer ausgehen können. Die Opposition spricht von einem Skandal. Das Bundesarbeitsministerium hat eine Gesetzesänderung in Aussicht gestellt.

Berlin. Wer frühzeitig begonnen hat zu arbeiten und am Ende 45 Versicherungsjahre nachweisen kann, der darf seit Juli ohne Abzüge in den Ruhestand gehen. So ist es im Rentenpaket der Regierung festgezurrt. Dabei zählen nicht nur Zeiten im Betrieb oder Phasen der Kinderziehung mit, sondern erstmals sogar auch kürzere Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit. Auf diese Weise würden Menschen belohnt, "die über Jahrzehnte hinweg durch Beschäftigung, selbstständige Tätigkeit und Pflege sowie Kindererziehung ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung geleistet haben", heißt es auf der Internet-Seite des Arbeitsministeriums.
Doch für berufstätige Mütter, die die Frühverrentung mit 63 beantragen, gilt das offenkundig nur bedingt. Der gesetzlich verbriefte Mutterschutz wird, weil rententechnisch eine beitragsfreie Zeit, nämlich nicht mitgezählt. Das räumte die parlamentarische Staatssekretärin des Ressorts, Gabriele Lösekrug-Möller (SPD), in einer gestern bekannt gewordenen Stellungnahme auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ein. "Der Regelungsintention widerspräche es, beitragsfreie Zeiten auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen", schrieb Lösekrug-Möller.
Schwangere dürfen laut Gesetz sechs Wochen vor der Entbindung und acht Wochen danach nicht beschäftigt werden. Für den Zugang zur Rente mit 63 können die ersten sechs Wochen ausschlaggebend sein. Wenn diese Zeit einen kompletten Monat ohne Beitragzahlung in die Rentenkasse einschließt, wird dieser Monat nicht für die Rente mit 63 anerkannt. Bei der Geburt mehrerer Kinder im größeren Abstand können sich solche Lücken summieren. Über die Zahl der Betroffenen liegen der Rentenversicherung allerdings keine Angaben vor.
Tatsächlich dürfte es sich nur um einen kleinen Personenkreis handeln, bei dem die Rente mit 63 am Mutterschutz scheitert. Die Sache ist aber trotzdem politisch brisant, weil Frauen bei der Rente mit 63 ohnehin schon benachteiligt sind. Zu Jahresbeginn hatte das Arbeitsministerium mitgeteilt, dass bis Dezember rund 200 000 Personen von der Neuregelung profitieren könnten. Davon sei allerdings nur jede vierte eine Frau, so das Ressort.
Hintergrund: Durch die Kindererziehung haben sie zumeist weniger Berufsjahre als Männer. Und durch die rententechnische Handhabung des Mutterschutzes wird die Zahl der weiblichen Anspruchsberechtigten noch weiter verkleinert.
Der Rentenexperte der Linken, Matthias Birkwald, sprach deshalb von einen "Skandal". Erwerbsunterbrechungen von Männern würden rentenrechtlich anerkannt, die von Frauen aber nicht. Schließlich könnten Männer nicht schwanger werden, so Birkwald lakonisch. Sein grüner Fachkollege Markus Kurth spottete: "Das ist eine weitere handwerkliche Schlampigkeit dieser Koalition." Zumindest im Arbeitsministerium scheint man schon ein schlechtes Gewissen zu haben. Eine Sprecherin erklärte gestern: Die Regierung werde "prüfen, ob eine Änderung des geltenden Rechts angezeigt ist".
In der Union hält sich die Begeisterung darüber stark in Grenzen. Die Rente mit 63 war dort ohnehin nur zähneknirschend akzeptiert worden. Insbesondere die Festlegung, auch Zeiten der Arbeitslosigkeit einzubeziehen, sorgte für Verdruss. "Jeder kann nun fordern, auch andere Zeiten einzurechnen, die bislang traditionell unberücksichtigt geblieben sind", kritisierte der CDU-Sozialpolitiker Peter Weiß.

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