Nach der Euphorie

Pech für die Regierenden im Lande: Nach dem Halbfinal-Aus für die deutsche Mannschaft geht die Zeit der WM-Euphorie langsam zu Ende, und der Blick der Bürger wird schon bald um so gnadenloser auf das kleinmütige und perspektivlose Flickwerk an allen Reform-Fronten fallen, das sich zuletzt hinter den Erfolgen der Klinsmänner verstecken konnte.

Dabei ließe sich von der Fußball-Philosophie des Bundestrainers allerlei lernen für die Führung des Landes. Zum Beispiel, dass Risiko-Bereitschaft, Konsequenz und Mut zur Innovation belohnt werden. Klinsmann hätte es wie seine Vorgänger machen können: Ein bisschen Experimentieren für die Galerie, und dann beim ersten Gegenwind flott zurück zum Altbewährten. Was haben sie nicht alle den "Jugendstil" kritisiert, als das Team mal durchhing. Wie leicht wäre es gewesen, dem Druck zu erliegen, auf Veteranen zu setzen, der Sicherheit den Vorzug zu geben. Wie in der Politik: Nur keine Unannehmlichkeiten fürs Volk, immer die kleine Lösung, Durchschleppen von Spiel zu Spiel. In den Parteien dominieren die Dietz', Pflüglers, Wörns und Ramelows, lauter kreuzbrave, fleißige Wasserträger, versiert im Tackling gegen den Gegner, aber unfähig, einen kreativen Angriff aufzubauen. Auch so kann man sich schon mal mit viel Dusel bis ins Finale durchgurken. Aber es erzeugt keine Aufbruchstimmung. Menschen überzeugt man nicht, indem man den Ball an der Mittellinie hin- und herschiebt, in einer Mischung aus der panischen Angst, ihn zu verlieren, und der Hoffnung, irgendwann ergebe sich von selbst mal eine Lücke. Begeistertes Mitgehen erzeugt nur, wer stürmt, schon mal ein Kabinettstückchen wagt und Profil zeigt. Dann nimmt das Publikum auch hin, dass ein Zuspiel mal beim Gegner landet. Noch eins könnten sich die Politiker bei Klinsmann abschauen: Die Bereitschaft, an dem, was man für richtig hält, festzuhalten, auch wenn es rundherum kracht. Wie wurden seine amerikanischen Fitness-Trainer verlacht, welcher Druck aufgebaut, um ihn zu nötigen, für die Zeit der WM-Vorbereitung nach Deutschland umzusiedeln. Gegenüber "Bild, Bams und Glotze" (Gerhard Schröder) einfach mal "Ihr könnt mich..." zu sagen, das würde man sich von Merkel, Beck & Co. wünschen. Vielleicht wäre es manchmal besser, die Regierung säße in Florida. Klinsmann hat vertraut. Auf seine gute Nase, qualifizierte Mitarbeiter, das Talent seiner jungen Spieler und auf seine eigene Überzeugungskraft. Und er hat gewonnen, auch wenn es nicht zum Finale reichte. Ob er geht oder nicht: Er hat etwas bewegt, was die WM überdauert. Ob man das für Angela Merkel, Franz Müntefering und den nächsten Wahltermin sagen kann, ist leider noch nicht ausgemacht. d.lintz@volksfreund.de

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