Nackte Tatsachen

BERLIN. Polit-Soaps satt Superstars: Mit Porträts von Helmut Kohl und Wolfgang Clement hat das die Deutschen Zuschauer beglückt. Herausgekommen sind zwei Filetstückchen, gut zu verdauen.

Es war bloß ein Zufall: Just am selben Abend sendete die ARD am Montag ein Porträt über Kohl und der WDR ein Porträt über Clement. Beide Sendungen haben nichts miteinander zu tun (die Politiker auch nicht), außer dass sie sehr aufschlussreich waren. Kohl musste allerdings gestückelt werden (Teil zwei folgt nächsten Montag), weil ein Staatsmann seines Kalibers mehr Stoff hergibt als ein Wirtschaftsminister, auch wenn der so aktiv ist, dass er fast rotiert. Aber Kohl ist eben eine historische Figur, an die Clement nicht heran kommt, auch wenn er sich noch so entblößt und die Fernseh-Kameras sogar ins Badezimmer lugen lässt. Badefreund Scharping wird dies aufmerksam registriert haben. Stinknormal durch den Alltag

Polit-Porträts sind ein beliebtes Genre, bei den Journalisten selbst, aber auch bei den "Leuten draußen im Lande” (Kohl), die fasziniert sind, wenn sie im Fernsehsessel beinahe aus einer Schlüsselloch-Perspektive heraus beobachten können, wie stinknormal unsere politische Prominenz den Alltag meistert. Oder wie gemein angeblich gute Freunde sein können, wenn sich der Machtinstinkt im Manne meldet. Wie im ganz normalen Leben. Insbesondere der Altkanzler taugt in hervorragender Weise zum inneren Abgleich mit der eigenen, meist bescheidenen Existenz. Schließlich hat es die früher belächelte "Birne” aus der Pfalz nicht nur zu außerordentlicher Reife gebracht, sondern ist dabei auch noch allzu menschlich geblieben! Das eröffnet die Chance zur Idendifikation, selbst für die Hempels aus Wanne-Eickel. Dieser simple Sachverhalt ist großartig, vor allem für die "Bild”-Zeitung, die daraus genüsslich Honig saugt. Gleich zweimal hat das Blatt, mit dessen Eignern Kohl stets freundschaftliche Kontakte pflegte, den Altkanzler gefeiert und dabei - warum wohl? - auf Kritik verzichtet. Auch Clement wurde zweimal abgebildet, aber nur, weil sich Nacktheit noch besser verkaufen lässt als scheinheilige Betroffenheitssülze. Wer die Sendungen mit eigenen Augen anschaute, konnte sich jedenfalls ein besseres Bild machen - und dabei feststellen, was Eingeweihte längst wussten: Dass Kohl ein hemmungsloser Egomane ist, der beim Triebmittel "Bimbes” alle moralischen Grundsätze über Bord wirft, reihenweise beste Freunde fallen lässt (Geißler, Schäuble, Blüm), und erst durch Ehefrau Hannelore (folgenlos) darauf hingewiesen wird, "dass deine Dominanz schwer zu ertragen ist”. Sowohl bei Kohl als auch bei Clement wurde das ernsthafte Bemühen der Autoren sichtbar, die Dargestellten in fairer Weise zu behandeln. Von Häme keine Spur, von Lobhudelei auch nicht. Kohl kam aus natürlichen Gründen besser weg, weil sein Leben Stoff für eine siebenteilige Hedwig-Courths-Mahler-Serie hergibt, mit Trauer, Tod und Tränen. Dafür durfte Superminister Clement sein kerniges Temperament ausbreiten, Journalisten anblaffen und einen seiner wesentlichen Charakterzüge beschreiben lassen: "Herr gib mir Geduld, aber sofort!” Insgesamt prima Fernsehen: zwei Filetstückchen, gut zu verdauen, ohne Risiken und Nebenwirkungen.

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