Neues Jahr, neues Glück?

Vieles von dem, was in 2004 passieren wird, wissen wir schon, denn es steht im Kalender: Am 1. Januar treten zahlreiche gesetzliche Regelungen in Kraft, die unter Chiffre "Agenda 2010" Furore gemacht haben.

Gleich 14 Mal wird gewählt in Deutschland, und auch der Bundespräsident wird neu gekürt. Der Kanzler will einer "neuen Innovationskultur" auf die Beine helfen, und die CDU-Vorsitzende möchte "konstruktive Opposition" betreiben. Die Staats- und Regierungschefs werden abermals versuchen, die EU-Verfassung zu verabschieden, während neun Beitrittsländer aus dem ehemaligen "Ostblock" und die Insel Malta die europäische Union zum Koloss machen. Vieles von dem, was wir nicht wissen, können wir ahnen: Die Konjunktur wird wohl anspringen, wenn auch nur zäh. Deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt dürften bescheiden sein, denn Beschäftigungseffekte folgen stets erst mit Verzögerung. Die Lastwagen-Maut wird kommen (oder Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe gehen), entweder mit TollCollect oder mit Vignette. Und vermutlich werden viele der gut gemeinten rot-grünen Vorsätze zum neuen Jahr wie üblich in schlecht gemachten Formelkompromissen enden. Das Allermeiste aber wissen wir noch nicht, und das ist gut so. Denn Ungewissheit weckt Interesse und erhält die Spannung. So wissen wir nicht, ob es die Parteien hinkriegen werden, eine Frau in das höchste Staatsamt zu wählen. Ob sich eine große Koalition der Vernünftigen endlich auf eine Vereinfachung des komplizierten Steuerrechts einigen kann. Ob die wichtige Föderalismus-Kommission tatsächlich genügend Ideen zum Entzerren der Verantwortlichkeiten gebiert. Und ob es der Politik (wem sonst?) gelingt, den Menschen in Deutschland wieder mehr Mut und Optimismus zu vermitteln. Was wir auch nicht wissen, ist die Antwort auf die Frage, wie sich unsere Gesellschaft im nächsten Jahr entwickeln wird. Glaubt man dem Zukunftsforscher Matthias Horx, sieht die nahe Zukunft eher düster aus. Denn die "Schnäppchen- und Geizkultur" habe sich festgesetzt im Lande, was auch das wirtschaftliche Klima und das soziale Gefüge beeinflussen könnte. Wenn sich zudem die "Lust am schlechten Geschmack" ausbreiten würde, wie Horx prophezeit, also die weitere Verflachung des komunikativen Niveaus, die "Verbohlung" und "Küblböckisierung" der Medien, könnte dies eine bittere Melange gesellschaftlicher Zustände zur Folge haben, die niemand wirklich will - und gegen die niemand wirklich etwas unternimmt. Auch nicht die so genannten Intellektuellen, die nur noch wenig zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen und sich wehklagend in ihre warmen Stuben zurück gezogen haben. Es wäre schön, wenn das Jahr 2004 nicht nur einen wirtschaftlichen Aufschwung bringen würde, sondern auch (wieder) geistige Höhenflüge. Dazu gehört allerdings Mut. Mut zum Tabu (muss in einer freien Gesellschaft alles erlaubt sein?), Mut zum Widerspruch, Mut zum sozialen Engagement. Wenn die Bundesregierung es ernst meint mit ihrer "Innovationskultur", dann muss sie bei den Eliten energischer als bisher Vorbildcharakter einfordern und vor allem die einzige deutsche Ressource, die Bildung, fördern. Das wäre dann eine echte Reform, die für das 2004 hoffen ließe. nachrichten.red@volksfreund.de

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