"Nicht jedes neue Kniegelenk ist tatsächlich notwendig"

Trier · Patienten haben das Recht, ärztliche Verordnungen kritisch zu hinterfragen. Nicht jedes Medikament und nicht jede Operation sei unbedingt erforderlich, sagt Martin Schneider, Leiter des Ersatzkassenverbandes Rheinland-Pfalz.

 Martin Schneider, Leiter des Ersatzkassenverbandes Rheinland-Pfalz.Foto: privat

Martin Schneider, Leiter des Ersatzkassenverbandes Rheinland-Pfalz.Foto: privat

Trier. Viele Medikamente und Untersuchungen sind nur scheinbar nützlich. Bei vielen fehle der wissenschaftlich fundierte Nachweis, sagt Martin Schneider. Er ist Leiter des Ersatzkasssenverbandes Rheinland-Pfalz. Mit ihm sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.
Herr Schneider, verschreiben die Ärzte zu viele Medikamente?
Schneider: Fest steht: Die Arzneimittelausgaben haben sich in den vergangenen 20 Jahren fast verdoppelt. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass die Bevölkerung immer älter wird und damit mehr Medikamente benötigt werden. Häufig werden bewährte Medikamente durch neue, angeblich innovative Arzneimittel ersetzt, die aber meist teurer sind. Vor allem bei Spezialpräparaten etwa gegen Krebs gab es nicht hinnehmbare Preissteigerungen.
Heißt das, dass nicht jedes verschriebene Medikament notwendig ist?
Schneider: Wir müssen auf jeden Fall weg von dem Medikalisierungstrend. In einigen Fällen ist es sicher nicht notwendig, Patienten regelrecht mit Medikamenten zu bombardieren. Über sieben Millionen Bürger nehmen mehr als fünf verschiedene Medikamente pro Tag ein. Daher müssen Ärzte besser geschult werden, was die Wechselwirkung von Arzneimitteln angeht. Auch muss es mehr unabhängige Informationen und Studien über Wirkung von Medikamenten geben.
Was tun die Krankenkassen gegen diese Ausgabensteigerungen?
Schneider: Zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen versuchen sie, das Verordnungsverhalten der Ärzte zu beeinflussen. Aber die Kassen sind auch ein Stück weit ohnmächtig, gegenüber dem aggressiven Marketing der Pharmaindustrie.
Welche Möglichkeiten hat denn ein Patient, sich gegen die Verordnung nicht erforderlicher Medikamente zu wehren?
Schneider: Patienten, die ohnehin immer kritischer werden, haben selbstverständlich die Möglichkeit, Verordnungen zu hinterfragen. Auch bei Medikamenten gilt: Weniger ist manchmal mehr. Allerdings sollten Patienten nicht irgendwelchen zweifelhaften Ratschlägen aus dem Internet vertrauen. Wir brauchen eine unabhängige Arzneimittelinformation. Selbstverständlich können sich Patienten auch jederzeit in den Apotheken über die Wirkungen von Medikamenten informieren lassen.
Nicht nur die Verordnungen haben zugenommen, auch die Zahl der Operationen ist gestiegen. Wird zu schnell und möglicherweise auch überflüssig operiert?
Schneider: Die Diskussion wird ja längst nicht mehr nur bei den Kassen geführt. Auch immer mehr Ärzte sind der Meinung, dass es zu viele überflüssige Operationen gibt. Beispiel dafür ist die Zunahme bei künstlichen Kniegelenken, innerhalb von 2003 bis 2009 um mehr als 43 Prozent. Das lässt sich ebenfalls nicht nur mit einer älter werdenden Bevölkerung erklären.
Sondern?
Schneider: Gerade im Krankenhausbereich gibt es immer wieder neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die sehr stark von Medizinprodukte-Herstellern beworben werden. Nicht alle neuen Produkte sind tatsächliche Innovationen, häufig sind sie sogar nicht ausreichend wissenschaftlich erprobt. wie

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