Nicht mal ein Toilettenhäuschen

Berlin · Die Berliner haben sich in einem Volksentscheid am Sonntag parallel zur Europawahl gegen eine Teilbebauung des stillgelegten Flughafens Tempelhof ausgesprochen und damit gegen die Pläne des Regierenden Bürgermeisters und seiner SPD/CDU-Koalition.

Berlin. Mit Würde versuchte Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Montag in einem lokalen Rundfunkinterview die Niederlage zu ertragen. Er sprach von dem demokratischen Recht der Bürger und dass deren Argumente wohl die Mehrheit überzeugt hätten. Doch dann wurde er doch noch pampig: "Uns ist egal, wo die Leute wohnen, dann ziehen sie eben nach draußen."
Überraschend klar haben sich die Berliner in einem Volksentscheid am Sonntag parallel zur Europawahl gegen eine Teilbebauung des stillgelegten Flughafens Tempelhof ausgesprochen und damit gegen die Pläne des Regierenden Bürgermeisters und seiner SPD/CDU-Koalition. Der Gesetzentwurf der Bürgerinitiative "100 Prozent Tempelhof" erhielt mit 64,4 Prozent Ja-Stimmen eine große Mehrheit - der ebenfalls zur Abstimmung stehende Gegenentwurf des Senats wurde mit 59,4 Prozent Nein-Stimmen genauso eindeutig abgelehnt. Gebaut werden darf jetzt auf dem derzeit als Park genutzten 355 Hektar großen Gelände mit seinen beiden Startbahnen auf absehbare Zeit nichts mehr. Weder die geplanten 4700 Wohnungen noch die von Wowereit persönlich stark forcierte neue Landesbibliothek für rund 300 Millionen Euro. Der Senat hatte argumentiert, wegen des erwarteten Bevölkerungszuwachses um 250 000 Menschen bis 2025 brauche Berlin diese innerstädtische Baufläche.
Der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) sagte, er erwarte, dass es nun überall Konflikte geben werde. "Tempelhof ermutigt die Leute natürlich", sagte Momper, der selbst kein Anhänger der Senatspläne auf dem Flugfeld gewesen war. Wie zum Beweis für die These wurde am Sonntag mit einem lokalen Bürgerentscheid im Bezirk Wilmersdorf die Bebauung einer Kleingartenkolonie ebenfalls gestoppt.
Mindestens für die kommenden zahlreichen Auseinandersetzungen um die städtebauliche Entwicklung ist die Autorität von Wowereit nun sehr geschwächt. Die Grünen hatten unter Anspielung auf den noch immer nicht fertiggestellten Berlin-Brandenburger Großflughafen schon plakatiert: "Würden Sie diesem Mann noch einen Flughafen anvertrauen?"
Auch Wowereits rechte Hand, der vorherige SPD-Landeschef und Bausenator Michael Müller, hat schwere Blessuren davongetragen. Denn er hatte sich stadtweit für die Baupläne in den Wahlkampf geworfen, während Wowereit selbst sich vornehm zurückhielt. Beschädigt sind aber auch die möglichen Nachfolger des Regierungschefs, der schon länger als amtsmüde gilt. SPD-Landeschef Jan Stöß hatte die Bebauungsgegner in der Schlussphase als "provinziell" beschimpft und ihnen "Stillstand" vorgeworfen. Und SPD-Fraktionschef Raed Saleh verulkte die Bürgerinitiative noch am letzten Donnerstag im Landesparlament, weil nach deren Gesetzentwurf nicht einmal der Bau von festen Toilettenhäuschen möglich ist. "Auch ein grüner Hippie muss mal Pipi", sagte Saleh unter Gelächter. Gestern kommentierten Berliner Medien den Ausgang mit der Bewertung, Wowereit und seine SPD hätten offenbar ihr Gespür für die Stadt verloren.
Wowereit versuchte, die Niederlage von sich wegzuschieben. Es habe sich um eine reine "Sachentscheidung" gehandelt, meinte das 60-jährige Stadtoberhaupt. Für diese These spricht, dass die Sozialdemokraten bei der Europawahl am Sonntag wieder stärkste politische Kraft der Hauptstadt wurden, nachdem sie 2009 nur auf Platz drei gelandet waren. Allerdings erhielten sie nur 24 Prozent der Stimmen.

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