"Nicht nur nach hinten blicken"

Berlin · Im Streit um die Armenien-Resolution des Bundestages untersagte Ankara Besuche von Abgeordneten bei den in Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten. Jetzt hat eine siebenköpfige Bundestagsdelegation den Eisbrecher gemacht.

Berlin. Nach monatelangem Warten haben sieben Bundestagsabgeordnete die deutschen Soldaten auf dem türkischen Stützpunkt Incirlik besucht. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit dem SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold, der zu der Gruppe gehörte.

Gibt es nach Ihren Gesprächen eine Garantie, dass Bundestagsabgeordnete künftig komplikationslos die Bundeswehrsoldaten besuchen können?
Arnold: Wir haben mit Kollegen des türkischen Verteidigungsausschusses gesprochen, in deren Macht eine solche Entscheidung nicht liegt. Die trifft letztlich die Regierung. Mein Eindruck ist aber, dass durchaus verstanden wurde, dass man mit einem Besuchsverbot nicht den deutschen Bundestag bestraft, sondern die Allianz gegen den Terror.
Steht jetzt einer Verlängerung des Mandats der Tornado-Aufklärungsflüge gegen den IS von Incirlik aus nichts mehr entgegen?
Arnold: Wenn auch zukünftig Bundestagsabgeordnete nach Incirlik reisen können, kann man das Mandat verlängern und auch über den geplanten Awacs-Einsatz reden.
Wirkt die Armenien-Resolution atmosphärisch nach?
Arnold: Wir haben uns zwei Stunden mit den türkischen Kollegen unterhalten. Das zeigt, dass beide Seiten bemüht sind, wieder Gesprächsfäden zu knüpfen. Über Armenien haben wir nur kurz geredet.
Hat die Bundestagsdelegation deutlich gemacht, dass sie zur Armenien-Resolution steht?
Arnold: Selbstverständlich. Wir haben deutlich gemacht, dass wir zu allen außenpolitischen Fragen unsere Meinung haben und auch frei äußern. Und dass wir kein juristisches Seminar sind, sondern ein Parlament, das die Dinge politisch bewertet.
Die Türken sind hingegen der Meinung, dass man das nicht politisch diskutieren darf. Da kommen wir nicht zusammen. Es macht aber keinen Sinn, jahrelang nach hinten zu blicken.
Haben Sie auch die Rechtsstaatsverletzungen der Regierung Erdogan nach dem gescheiterten Putsch angesprochen?
Arnold: Ja, das ist zur Sprache gekommen. Es gab solche Rechtsstaatsverletzungen schon vor dem Militärputsch, die sich dann noch verstärkt haben. Wir Deutschen müssen allerdings auch verstehen, in welcher Situation die Türkei ist: Kriege an der Grenze, Militärputsch, Terrorismus im Innern. Es gibt in Ankara den Eindruck, dass das in Europa und Deutschland nicht genügend gewürdigt wird.
Während Ihrer Gespräche wurde das Verfahren gegen den Satiriker Böhmermann eingestellt. Gab es darauf Reaktionen?
Arnold: Nein, keine, die uns erreicht haben.
Wie beurteilen Sie das deutsch-türkische Verhältnis nach diesem Besuch?
Arnold: Es ist nicht so, wie es eigentlich unter Verbündeten sein sollte. Dazu gibt es zu viele kritische Fragen. Unsere Sorge ist, dass hier durch Präsident Erdogan ein immer autokratischeres System eingerichtet wird und dass demokratische Rechte geschleift werden. Andererseits müssen wir mit dem Partner Türkei umgehen, da ist schweigen allemal schlechter als reden. Und die Türkei muss verstehen, dass sie auch auf Deutschland angewiesen ist, insbesondere ökonomisch.
Ist auch die militärische Zusammenarbeit von diesen Schwierigkeiten berührt?
Arnold: Nein. Nach allem, was wir hören, läuft das auf Arbeitsebene in Incirlik seit Monaten gleich gut.
w.k.

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