Nicht vorschnell urteilen!

Es ist erst acht Monate her, dass ein Mann aus Nittel wegen Mordes an seiner Ehefrau zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Die Moselgemeinde war zuvor monatelang in den Schlagzeilen, der ganze Ort aufgewühlt wegen der schrecklichen Bluttat.

Langsam kommt Nittel zur Ruhe, doch schon schockt das nächste mutmaßliche Verbrechen die Bevölkerung: Eine junge Frau soll ihren erst zwei Monate alten Sohn getötet haben. Das zumindest glaubt die Staatsanwaltschaft. Und schon wieder ist der beschauliche Moselort, der von Weinbau und Fremdenverkehr lebt, in den (Negativ-)Schlagzeilen. Verständlich, wenn jetzt einige Einheimische langsam um den guten Ruf des Orts und möglicherweise auch ums Geschäft fürchten. Nachvollziehbar auch, wenn jetzt Vorurteile und Gerüchte sprießen und Ausschau gehalten wird nach vermeintlichen Schuldigen: vielleicht das Ordnungsamt, das nicht schnell genug gehandelt habe, vielleicht das Jugendamt, das nicht frühzeitig interveniert habe. Doch, Vorsicht! Für irgendwelche Schuldzuweisungen besteht noch kein Anlass. Als die Behörden informiert wurden, war nach deren Angaben nicht von einem vernachlässigten Säugling die Rede, sondern nur von hygienischen Missständen. Auf einen Tag früher oder später für den Ortstermin kam es daher nicht an. Dass vielleicht Schlimmeres hätte verhindert werden können, wären die Behördenmitarbeiter ein, zwei Tage früher nach Nittel gekommen, ist tragisch, aber nicht mehr zu ändern. Was Nittel jetzt braucht, sind keine vorschnellen Urteile, sondern sorgfältige Ermittlungen. Und schuldig ist auch die jetzt unter Totschlagsverdacht verhaftete Frau erst, wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. r.seydewitz@volksfreund.de