Noch nichts vereinbart – noch nichts aufgegeben

BERLIN. Die Chefunterhändler der Union kennen sich inzwischen ganz leidlich im Willy-Brandt-Haus aus. Vor einer Woche hatte CSU-Chef Edmund Stoiber noch Probleme, den richtigen Eingang zur SPD-Parteizentrale zu finden. Gestern bewegte sich der Bayer dynamisch und selbstsicher durch die Pressemeute.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel war schon zwei Minuten früher in die Höhle des vormaligen politischen Gegners marschiert. Hinter verschlossenen Türen ging es dann mehr als fünf Stunden lang zur Sache. Im Mittelpunkt der dritten Verhandlungsrunde im großen Kreis standen Probleme der Kranken- und Rentenversicherung, bei denen beide Lager nach übereinstimmenden Aussagen aber noch zum Teil deutlich über Kreuz liegen. Über die katastrophale Kassenlage wurde diesmal angeblich nicht gesprochen. Trotzdem schwebt der marode Bundeshaushalt natürlich wie ein Damoklesschwert über allen anderen Bereichen. Denn wo das Geld fehlt, tendieren auch die politischen Gestaltungsmöglichkeiten gegen Null. So machte denn gestern auch eine neue Variante zur Steuererhöhung die Runde. Einem Pressebericht zufolge hätten Union und SPD über eine so genannte Solidaritätsabgabe auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer als Alternative zur Anhebung der Mehrwertsteuer nachgedacht. Die Abgabe nach dem Vorbild des Soli-Zuschlags für den Osten könnte bis zu 12 Prozent ausmachen und etwa 20 Milliarden Euro in die Kassen spülen. Der Idee war allerdings kein langes Leben beschieden. Seitens der Union gebe es dafür "keine Überlegungen", stellte Fraktionsvize Michael Meister klar. Auch SPD-Chef Franz Müntefering sagte im Anschluss an die gestrige Verhandlungsrunde, ihm seien solche Pläne nicht bekannt. Nach seinen Angaben wird es auch keine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung geben. Spekulationen zufolge sollte die Lohn- und Gehaltsgrenze, bis zu der Beiträge zu entrichten sind, von derzeit 3525 Euro auf bis zu 5200 Euro heraufgesetzt werden. Demnach müssten Besserverdiener monatlich rund 220 Euro mehr Beitrag bezahlen. Für "nicht ausgeschlossen" hielt Müntefering aber eine spürbare Anhebung der Versicherungspflichtgrenze. Dahinter steckt das Kalkül, mehr Gutverdienern den Weg in die private Krankenversicherung zu versperren. Gegenwärtig muss ein Arbeitnehmer mehr als 3900 Euro im Monat verdienen, um in eine private Assekuranz wechseln zu können. Ebenso wie Müntefering hält auch Merkel die politische Gefechtslage in Sachen Krankenversicherung für "sehr kompliziert". Hintergrund sind die völlig unterschiedlichen Konzepte beider Parteien. Während die Union nach wie vor eine einkommensunabhängige Kopfpauschale favorisiert, hält die SPD an der Bürgerversicherung fest. "Da nichts vereinbart ist, ist auch noch nichts aufgegeben", erklärte Merkel. Müntefering schloss allerdings nicht aus, dass man sich auch über einen dritten Weg verständigt. Um die Lohnnebenkosten in Schach zu halten, wäre zum Beispiel ein Einfrieren des Arbeitgeberbeitrages möglich. Beim Thema Rente sind sich Union und SPD im Grundsatz einig, zunächst einmal das tatsächliche Renteneintrittsalter dem gesetzlichen anzunähern, bevor eine Rente mit 67 beschlussreif ist. Bis zum Mittwoch sollen die Arbeitsgruppen eine Bestandsaufnahme machen und verbliebene Streitpunkte markieren. Zwei Tage zuvor wollen die Spitzen von Union und SPD in einer getrennten Sitzung mit den Leitern der Arbeitsgruppe Finanzen beraten. Ob danach bereits Klarheit über eine Anhebung der Mehrwertsteuer oder Maßnahmen zum Subventionsabbau herrscht, blieb gestern offen.

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