Norbert Blüms Erbe bröckelt

Berlin. Die gesetzliche Versicherung steht womöglich vor dem Aus. Die Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme überlegt, die Pflegeversicherung abzuschaffen, um die Sozialbeiträge zu senken.

Gesternwar so ein Tag, an dem man unweigerlich an ein "altgedientesSchlachtross", wie Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU) zu sagen pflegt,denken musste: Norbert Blüm, Sozialminister in der Ära Kohl. Washatte der Mann sich ins Zeug gelegt, damit am 1. Januar 1995 seinpersönliches Prestige-Projekt trotz heftigen Widerstands derWirtschaft und gegen Quer-Treiber beim liberalenKoalitionspartner in Kraft treten konnte: die umlagefinanziertePflegeversicherung als fünfte Säule der Sozialversicherung. Ulla Schmidt spricht sich für die Versicherung aus

20 Jahre war zuvor in der Republik darüber gestritten worden. Heute, acht Jahre danach, kann man fast schon Mitleid mit dem alten Kämpfer "Nobbi" haben. Denn die gesetzliche Versicherung könnte womöglich vor dem Aus stehen - und damit ein Stück von Blüms politischem Erbe verschwinden. Die Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme ließ durchsickern, dass sie an die Abschaffung der Pflegeversicherung denke, um die Sozialbeiträge um 1,7 Prozentpunkte zu senken.

Eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. Auch nicht in der Frage, welches Alternativmodell die Experten vorschlagen wollen - heiße Favoriten sind die Einführung einer kapitalgedeckten Pflichtversicherung oder aber die Finanzierung über Steuern statt über Beiträge. Im Gespräch ist in diesem Zusammenhang auch die Zusammenlegung von Kranken- und Pflegeversicherung. Ein Modell, das die Union bevorzugt.

Rund zwei Millionen Bürger beziehen derzeit Pflegeleistungen, bis zum Jahr 2050 rechnen Fachleute mit rund sechs Millionen. Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) beeilte sich gestern zwar, dem Ende der Pflegeversicherung entgegenzutreten. "Die Frage, ob sie bestehen bleibt oder nicht, stellt sich nicht", so ihre Sprecherin. Sie stehe schließlich auf einem "soliden finanziellen Fundament mit einer Rücklage von fünf Milliarden Euro", und noch lägen die endgültigen Ergebnisse der Rürup-Kommission nicht vor.

Klar ist aber, dass seit 1999 die Ausgaben permanent über den Einnahmen liegen und aufgrund der demografischen Entwicklung die Lücke immer größer werden wird. Die so genannte "Altenwelle" rollt an. Ein Beitragsanstieg ist deswegen nach Ansicht von Experten in absehbarer Zeit durchaus zu erwarten.

Überdies gelten immer noch die Leistungssätze aus der Gründerzeit der Pflegeversicherung, auch hier gibt es dringend Handlungsbedarf. Ein Reform muss also her. Und nicht nur Rürup&Co denken darüber nach, sondern in allen Parteien, bei Gewerkschaften und Arbeitgebern wird bereits intensiv über die Zukunft der Pflege diskutiert. "Ergebnisoffen", wie der CDU-Sozialexperte Andreas Storm hofft.

Davon hält die Wirtschaft jedoch gar nichts. Für sie war 1995 als Ausgleich, dass sie die Pflege-Beiträge hälftig mitfinanzieren müssen, der Buß- und Bettag als Feiertag gestrichen worden.

Arbeitgeber hegen neue Hoffnung

Die Arbeitgeber hegen jetzt die Hoffnung, die alte Schlacht von damals mit Blüm nun mit Ulla Schmidt fortführen zu können. Sie wiederholten gestern ihre Kritik - "die Einführung sei ein schwerer sozialpolitischer Fehler" gewesen, so ihre Bundesvereinigung. Pflegeleistungen müssten künftig auf Schwer- und Schwerstpflegebedürftige beschränkt werden, die Menschen verstärkt privat vorsorgen. "Nobbi" dürfte sich irgendwie an früher erinnert fühlen.

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