Nordkorea-Experte: Geringe Kriegsgefahr

Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel schaukeln sich wieder gefährlich hoch. Gund ist die Versenkung eines südkoreanischen Kriegsschiffes, für die Seoul den kommunistischen Norden verantwortlich macht. Selbst Nordkoreas Verbündeter China ging gestern vorsichtig auf Distanz.

Trier. (sey) Wie ist das augenblickliche Säbelrasseln Nordkoreas zu erklären, und wie wird sich der Konflikt auf der koreanischen Halbinsel in Ostasien entwickelt? Über diese und andere Fragen sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz mit dem Trierer Politikwissenschaftler und Nordkorea-Experten Professor Hanns W. Maull.

Herr Professor Maull, wie gefährlich ist das gegenwärtigen Säbelrasseln zwischen Nord- und Südkorea?

Maull: Die Kriegsgefahr ist relativ gering. Ich glaube nicht, dass Nordkorea wirklich einen Krieg möchte. Aber zweifellos haben sich die Spannungen zwischen beiden Ländern verschärft. Es kann etwas schiefgehen.

Aber es gab ja auch in der Vergangenheit immer wieder nordkoreanische Provokationen, etwa Atomtests oder Raketenstart.

Maull: Die aktuelle Entwicklung ist eher ein Rückfall in Praktiken, die Nordkorea in den letzten fünf Jahren so nicht mehr angewandt hat: Praktiken einer bewussten militärischen Reaktion unterhalb einer Risikoschwelle.

Welche Absicht verbirgt sich dahinter?

Maull: Es gibt vermutlich zwei Hintergründe: zum einen der anstehende Dynastiewechsel. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il versucht derzeit, seine Machtbefugnisse auf seinen dritten Sohn zu übertragen. Kim Jong-un ist noch jung und völlig unerfahren. In dieser Situation ist die Konfrontation mit der Außenwelt etwas, was die Führungselite und das Regime zusammenschweißt. Die andere Ursache für die Spannung dürfte die inzwischen desolate wirtschaftliche Situation Nordkoreas sein. Das Regime steht mit dem Rücken zur Wand.

Wie sollte der Westen auf den Konflikt reagieren?

Maull: So, wie man auf einen Bankräuber reagiert, der Geiseln genommen hat. Heißt: geduldig verhandeln, keine Zugeständnisse machen, die dem Geiselnehmer, aber nicht den Geiseln zugutekommen, und darauf warten, dass der Geiselnehmer, also Nordkoreas Regime, einen Fehler macht.

Und dann?

Maull: Dann, fürchte ich, gerät Nordostasien leider aus dem Regen in die Traufe - denn auch ein Zusammenbruch des morschen Systems in Nordkorea könnte mit Gewaltausbrüchen verbunden sein. Und die Schäden wiedergutzumachen, die das Regime dort angerichtet hat, und das Land dauerhaft überlebensfähig zu machen, dürfte sehr mühsam und kostspielig werden.

Wie wird sich die Situation Ihrer Einschätzung nach entwickeln?

Maull: Wir müssen damit rechnen, dass das Spannungsniveau auf der koreanischen Halbinsel in den nächsten Monaten, vielleicht sogar auf Jahre hinaus, hoch bleiben wird. Solange sich das Regime an der Macht halten kann, bleibt das Risiko einer militärischen Eskalation bestehen. Es könnte aber auch über Nacht plötzlich zusammenbrechen. Zur Person Professor Hanns W. Maull, Jahrgang 1947, leitet an der Universität Trier seit 1991 den Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Außenpolitik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sicherheitspolitik im Asiatisch-Pazifischen Raum, Beziehungen Europas zu Ostasien und deutsche Außenpolitik. Maull (TV-Foto: Archiv/Jörg Wollscheid) ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zu diesen Themen.

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