Null Ahnung von der Arbeitswelt?

TRIER. Lehrer, Schüler, Eltern, Wirtschaft, Politik: Beim Thema Ausbildung treffen unterschiedliche Welten und Interessen aufeinander. Entsprechend kontrovers sind die Lösungsvorschläge. Aber es gibt auch gemeinsame Wege.

Als der Trierer Hauptschulleiter Alfred Gelz kürzlich beim Bischof eingeladen war, erzählte er eine Begebenheit aus dem Schulalltag. Da hatte ein Lehrer seine Schüler gebeten, alle ihnen bekannten Berufe aufzuschreiben. Alle Kenntnisse zusammengetragen, blieb es bei einer einstelligen Zahl. Dass Jugendliche heute viel zu wenig wissen über das Berufsleben, darüber sind sich im Grunde alle Beteiligten einig. Die Wirtschaft sieht die Haupt-Ursachen in der Schule. "Leider ist die Berufsvorbereitung immer noch nicht als Kernaufgabe vorgeschrieben", kritisiert Günter Behr von der Handwerkskammer, räumt aber gleichzeitig ein, dass "vor allem die Hauptschulen in den letzten Jahren viele ideologische Barrieren abgeräumt haben". In vielen Schulen fehle es weniger am guten Willen als an Fachkompetenz. Wie in vielen Bereichen sollen die Schulen Aufgaben übernehmen, die früher selbstverständlich von den Eltern wahrgenommen wurden. Für etliche Schüler sind die Zeiten vorbei, da die Familie Orientierung bei der Berufsauswahl gab, die Eltern Kontakte zu Lehrherren suchten und die schwierige Übergangszeit von der "behüteten" Schule in die "freie Wirtschaft" begleiteten. "Wer soll das übernehmen, wenn nicht die Schule?", fragt Markus Kleefisch von der Industrie- und Handelskammer. Aber Personal und Mittel in den Schulen sind knapp, und die Agentur für Arbeit, die helfen könnte, wird dieser Tage von allen Seiten für ihre rigorosen Einsparungen und das daraus resultierende Kassen-Plus gelobt. Ein zweischneidiges Schwert.Plädoyer für bessere Praktika

Die Fachleute von den Kammern plädieren vor allem für besser vorgeplante und sorgfältig nachbereitete Praktika. Geht es nach ihnen, dann hat das klassische Zwei-Wochen-Zufalls-Praktikum ausgedient. Flexible Tagespraktika, auf die Interessen und Talente der Schüler abgestimmt, halten sie für sinnvoller. Schließlich seien es "sehr oft die Praktika", aus denen später Lehrverhältnisse entstünden. Heute sei das Zusammenbringen von Schülern und Arbeitswelt nicht zielgerichtet genug. "Das Matching funktioniert nicht", analysiert Günter Behr, "und da geht sehr viel verloren". Wo verstärkte Betreuungs-Kapazitäten eingesetzt werden, etwa in Arbeitswelt-Klassen für besonders problematische Schüler, sind tatsächlich die Vermittlungsquoten oft höher als bei unbetreuten Durchschnitts-Absolventen. Letztere scheitern oft an einzelnen Notenschwächen, weil eine Fünf in Mathe oder Deutsch dazu führt, dass sie die Chance eines Vorstellungsgespräches gar nicht erst erhalten. Auch miserable Bewerbungsunterlagen sind nicht selten eine unüberwindliche Hürde. Wäre die "Qualität" der Schüler besser, gäbe es keinen noch gnadenloseren Wettbewerb, sondern mehr Lehrstellen: Diese auf den ersten Blick erstaunliche These stellen die Kammer-Experten unisono auf. Der Markt sei "nicht so statisch", sagt Markus Kleefisch, "wenn es mehr gute Bewerber gibt, sind auch mehr Unternehmen bereit, Lehrstellen einzurichten". Umgekehrt führten Unzufriedenheit und Lehr-Abbrüche bei Firmen öfter dazu, keine Lehrlinge mehr einzustellen. Eine bessere Grundbildung - das würden auch die Schulen gerne liefern. "Aber man kann uns doch nicht immer mehr Arbeit aufbürden, ohne Ausstattung und Personal bereitzustellen", sagt ein leidgeprüfter Lehrer. Da hat die Schule wiederum die Unterstützung der Wirtschaft. Für die erweiterten Aufgaben müssten auch bessere Mittel zur Verfügung stehen, glaubt Günter Behr. Aber das sei "eine Investition, die sich für die Gesellschaft auf jeden Fall lohnt."

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