"Nur der Papst auf dem Schiff war schöner"

TRIER. Das Wetter meinte es gut mit Angela Merkel gestern abend in Trier. Die düsteren, regenträchtigen Wolken verzogen sich rechtzeitig vor der Kundgebung. Der Klima-Umschwung bei den Umfragen und Prognosen war freilich nicht zu übersehen.

"Geht ihr auch zu Angie?" Die beiden Jusos im orangen T-Shirt mit der Aufschrift "No Angies" blicken leicht pikiert drein. Die beiden Mädels, die sich ihnen am Hauptmarkt anschließen wollen, haben offenbar noch nicht bemerkt, dass sie zur Anti-Fraktion gehören."Angie" sagt auch der CDU-Landtagsabgeordnete, "Angie" sagt sogar die alte Dame mit dem orangen Button, "Angie" steht auf dutzenden Plakaten. Junge Leute halten sie in die Luft. Sie sehen so aus, als seien sie von einer Casting-Agentur für Vorabendserien handverlesen worden. Nein, das seien begeisterte Ehrenamtler, beeilt sich einer zu versichern.

Noch nie hat sich ein Politiker-Kosename vergleichbar durchgesetzt. Wer wäre auf die Idee gekommen, bei früheren CDU-Kanzlern Plakate mit "Helle" oder "Conny" hochzuhalten? Die Zeiten ändern sich halt. Eine rockige Band, eigens aus Berlin eingeflogen, heizt ein - keine Chance mehr für Winzerkapellen und Männergesangvereine. "Walking on sunshine", singt die Frontfrau, dabei ist das Klima für die CDU derzeit keineswegs sonnig. "Wir werden zittern bis zum Ende", sagt Alt-Ministerpräsident Wagner. Er hat kein Amt mehr, er kann es sich leisten, die Wahrheit zu sagen.

Die Kandidaten Rauen und Kaster müssen als Vorredner schon etwas kräftiger die Backen aufblasen - wer will schon den Vorwurf des Defätismus riskieren. Auch der frisch gebackene CDU-Bezirksvorsitzende Michael Billen macht in Optimismus. "Die ganze Welt will Angela Merkel", kommentiert er den Auftritt einer Truppe japanischer Touristen, die eifrig knipsend und mit sichtlichem Vergnügen die deutschen Wahlkampfriten beobachten.

Die allseits Geschätzte sitzt unterdessen nahezu inkognito im benachbarten "Christophel" und stärkt sich mit einem bescheidenen Bohnensüppchen. Die normale Ess-Kundschaft an den Nebentischen hätte den prominenten Gast womöglich gar nicht bemerkt, antichambrierten nicht im Minutentakt lokale CDU-Größen betont unauffällig in der Merkel-Ecke. Kurz nach 20 Uhr ist es soweit: Unter heftigem Sound-Gewitter aus den Boxen, begleitet von Luftballon-Trauben und den unsäglichen Anbiedereien eines Einpeitschers, marschiert Merkel einmal rund um den Platz und durch die Massen. Fehlt nur noch, dass der Stadionsprecher "Angela" brüllt und das Publikum "Merkel" antwortet, dann wäre das Basketball-NBA-Feeling komplett. "Nur der Papst auf dem Schiff war noch schöner", sagt eine aufgelöste Wahlhelferin. Doch der Kontrast zwischen der perfekt inszenierten Show und ihrem Star könnte kaum größer sein. Fast schüchtern winkt Angela Merkel von der Bühne in die Massen, blass, angespannt sieht sie aus. Man fragt sich unwillkürlich, wie der Show-Typ Schröder in diesem Umfeld aufdrehen würde. Merkel hingegen tut etwas, was man aus Wahlkämpfen eigentlich nicht kennt: Sie argumentiert. Leise, behutsam, sachlich. Keine Parolen, keine Pointen, kein rhetorischer Glanz. Keine Sätze, die die Leute von den Stühlen reißen. Aber ehrlicher wirkt sie als manche der Polit-Routiniers, die man in den letzten Jahren an gleicher Stelle gesehen hat. Natürlich hat sie nichts Neues zu bieten. So wenig wie die Gegendemonstranten, die angesichts ihres dauerhaften Pfeifkonzerts gar nicht hören können, was die Kanzlerkandidatin da vorne sagt. Aber anders als bei den provokativen Auftritten von Stoiber, Kohl oder einst Strauß wirken die Proteste merkwürdig unverhältnismäßig. Die Angela Merkel, die an diesem Abend auftritt, eignet sich als Feindbild so wenig wie als Idol. Die Show will es anders, und so scharen sich am Ende die lokalen Großkopferten um ihre Chefin. Es gilt, noch ein Foto zu ergattern. Schließlich spricht immer noch alles dafür, dass sie bald ganz oben angekommen sein wird.

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