Nur ein halbes Lob für Lammerts Entgegenkommen

Berlin · Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat das Problem kommen sehen, frühzeitig gewarnt und nun reagiert: Grüne und Linke sind mit nur 20 Prozent der Sitze so klein, dass sie wichtige Oppositionsrechte gegen die Übermacht der großen Koalition nicht wahrnehmen können.

Berlin. Bundestagspräsident Lammert hat nun eine Art Selbstverpflichtung der großen Parteien vorgeschlagen, die im Bundestag aber förmlich beschlossen werden soll. Dafür erntet er bei den betroffenen Kleinparteien nur halbes Lob. Man begrüße, dass der Parlamentspräsident initiativ geworden sei, erklärte die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Petra Sitte. Aber rechtssicher und einklagbar seien die neuen Rechte nur, wenn sie auch in Gesetze und in die Geschäftsordnung gegossen würden.
Ähnlich Katrin Göring-Eckardt von den Grünen: Ein einfacher Parlamentsbeschluss könne jederzeit von der Mehrheit wieder rückgängig gemacht werden. "Wir müssen Verbindlichkeit haben". Lammert bleibe auf halber Strecke stehen.
Mit den Vorschlägen selbst scheinen beide Oppositionsparteien einverstanden zu sein. Bisher gilt für die meisten Minderheitenrechte, dass 25 Prozent der Mitglieder des Bundestages nötig sind, um sie wahrzunehmen. Man hatte einfach nicht damit gerechnet, dass die Opposition einmal so klein sein könnte. Nun soll laut Lammert der Bundestag so tun ("verpflichtet sich"), als kämen Grüne und Linke zusammen auf diesen Anteil. Die Mehrheit will Anträgen der beiden Oppositionsparteien auf Einberufung einer Parlamentssitzung, Einrichtung eines Untersuchungssausschusses oder einer Enquetekommission oder gar auf eine Klage beim Europäischen Gerichtshof folgen. All das, was sonst erst bei 25 Prozent geht. Allerdings, einig sein müssen sich die beiden Oppositionsparteien schon. Und die Sonderregelung gilt ausdrücklich nur für die laufende Legislaturperiode.
Bei der Verteilung der Redezeiten waren die beiden großen Parteien den kleinen schon zuvor entgegengekommen und hatten ihnen über den rechnerischen Anteil hinaus einige Minuten abgegeben. So dürfen Linke und Grüne bei den häufigen 38-Minuten-Debatten jeweils fünf statt vier Minuten sprechen, bei Aktuellen Stunden acht statt sechs. In dieser Woche wurde das schon praktiziert.
Ein wesentliches Problem löst Lammerts Vorschlag allerdings nicht: Das Recht zur Normenkontrollklage. Das Thema ist in dem Sechs-Punkte-Papier des Bundestagspräsidenten nicht einmal enthalten. Nach dem Grundgesetz können einzelne Länder, die Bundesregierung oder ein Viertel der Bundestagsabgeordneten beim Verfassungsgericht feststellen lassen, ob ein Gesetz den Normen des Grundgesetzes entspricht oder nicht.
Normenkontrollklagen sind ein wesentliches Element der Kontrolle von Macht. Einzelne Bürger haben dieses Recht nur über Umwege: Wenn ihre Klagen scheitern und höhere Instanzen den Gang nach Karlsruhe freigeben. Das kann Jahre dauern. Derzeit gibt es jedoch keine einzige Landesregierung, in der die Parteien der großen Koalition CDU oder SPD nicht vertreten wären, die Bundesregierung selbst wird keine Klage gegen ihre Gesetze einreichen, und die Opposition im Bundestag ist zu klein.

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