Obacht auf den Nachwuchs

Angela Merkel will mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch darüber reden, wie Kinder vor Vernachlässigung besser geschützt werden können. Bei dem alle sechs Monate stattfindenden Treffen handelt es sich um Routine, trotzdem wird inzwischen vom "Kindergipfel" bei der Kanzlerin gesprochen.

Berlin. Auch die SPD hat das Thema für sich entdeckt: Weil fast jeden Tag vernachlässigte oder misshandelte Kinder für Schlagzeilen sorgen, wollen die Genossen Anfang 2008 eine "Nationale Kinderarmutskonferenz" veranstalten. Deutschlands Nachwuchs müsste es also demnach bald besser gehen. Oder nicht?"Wenn man auch zu konkreten Verabredungen kommt, dann ja", mahnt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Wolfgang Bosbach (CDU). Es wird viel geredet werden in den nächsten Tagen und Wochen - und einige der zu erwartenden Absichtserklärungen dürften auch schnell wieder verpuffen. Denn beim Thema Kinderschutz steht die Politik vor einem grundsätzlichen Dilemma: "Wir wollen ja nicht die Elternrechte relativieren oder gar abschaffen", beschreibt Bosbach gegenüber unserer Zeitung den Konflikt.

Es gibt Eltern, die vorbildlich für ihre Kinder sorgen. Dann gibt es Eltern, die ihren Nachwuchs grob vernachlässigen und ihm Gewalt antun; die letzten Monate haben genügend Beispiele geliefert. Und schließlich findet man noch jene Eltern, die einfach nur überfordert sind mit der Erziehung. Eine Ausgangslage, die heikel ist für die Politik und den Gesetzgeber. Laut Bosbach helfen da nur zwei Dinge: "Wir brauchen ein engmaschiges Netz von Vorsorge- und Unterstützungsmaßnahmen." Und die "gesellschaftliche Obacht" müsse funktionieren. "Wir wollen natürlich keine Blockwartmentalität, aber wir wollen, dass genau hingesehen wird." Von den Freunden, von den Nachbarn, von den Bekannten und den Verwandten. "Lieber einmal das Jugendamt zu viel benachrichtigen als zu wenig", fordert der Unionsmann.

Auch Angela Merkel hat den Schutz der Kinder inzwischen zur Chefinnensache erklärt. Obwohl der Bund gar nicht zuständig ist, weshalb Merkels Widersacher, SPD-Chef Kurt Beck, unlängst das Thema beherzt aufgriff und einen Sieben-Punkte-Plan inklusive der Forderung nach einer Grundgesetzänderung präsentierte. Ins gleiche Horn bläst auch Vizekanzler Frank Walter Steinmeier (SPD): "Wenn Eltern ihre Kinder nicht zu Vorsorgeuntersuchungen bringen, müssen notfalls Jugend- und Gesundheitsämter eingreifen." Hilfreiche Debatte

Das Wohl des Nachwuchses ist endlich in aller Munde. Nun könnte man sich auch abwenden und sagen, mal wieder singt der Chor der Politiker darüber, was zum Schutz der Kinder unternommen werden muss. Mal wieder setzt sich die Polit-Elite an die Spitze einer Bewegung, ohne anschließend wirklich zu handeln. Dieser Eindruck mag sich am Ende sogar als richtig herausstellen. Und dennoch, anders als bei vielen Themen gilt: Allein über das Problem verwahrloster und misshandelter Kinder ausgiebig zu sprechen, ist hilfreich. So schafft man die Aufmerksamkeit, ohne die selbst die besten Hilfeleistungen nur bedingt effektiv sein dürften. Schon jetzt sind sich Experten sicher, dass die Debatten der letzten Monate die Öffentlichkeit und die Behörden sensibilisiert haben. Viele Fälle konnten so entdeckt und Schlimmeres verhindert werden. In der Tat, das ist nur ein schwacher Trost, weil es doch darum gehen muss, Misshandlungen vor ihrem Entstehen zu verhindern. Wahr ist aber auch: Lückenlos wird dies nie gelingen. Dennoch gibt es Handlungsmöglichkeiten. So ist es sinnvoll, Eltern verpflichtend zu Vorsorgeuntersuchungen aufzufordern. Das System der Kinder- und Jugendhilfe gehört auf den Prüfstand, ohne mehr Personal und deutlich mehr Geld geht es nicht. Auch ist es klug, ein bundesweites Hilfs-Netzwerk auf die Beine zu stellen. Aber: Kinderschutz hat oft auch etwas mit Armutsbekämpfung zu tun. nachrichten.red@volksfreund.de

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