"Öffne auf keinen Fall jemals die Autotür"

Die Journalistin Bettina Bettenhausen hat die Wittlicher Menschenrechtsexpertin Lotta Sjöström Becker in Afghanistan begleitet. Hier schildert sie ihre Eindrücke als Berichterstatterin in dem vom Krieg zerrütteten Land.


"So rufst Du nach Hilfe", erklärt der Leibwächter: "Falls alles schiefläuft und du nicht weißt, was du tun sollst, nimm das Handy, das in meiner linken Jackentasche liegt, und rufe mit dem nach Hilfe. Aber denke daran, egal was passiert: Öffne niemals die Autotür. In keinem Fall. Das ist das Wichtigste. Öffne sie nicht."
Als der Leibwächter die Sicherheitsverfahren durchgegangen ist, beginnen wir langsam zu rollen. Die schusssichere Weste wiegt schwer auf dem Oberkörper. Wir reisen in einem gepanzerten Geländewagen, einem "hard skin" - im Gegensatz zu gewöhnlichen Autos, die als "soft skin" bezeichnet werden. Dieses Auto sollte einigermaßen in der Lage sein, Schüssen, Angriffen mit Granaten und sogar Bombenanschlägen zu widerstehen.
Die Sonne scheint freundlich über Kabul. Afghanistan ist schön. Wenn der Dunst, der oft über Kabul hängt, sich auflöst und das Licht der Sonne hereinbricht, öffnet sich eine atemberaubende Aussicht. Majestätische schneebedeckte Berge bilden die Kulisse am Horizont. Wir fahren die Jalalabad Road entlang, eine der stark befahrenen Hauptstraßen der Stadt. Da viele Einsatzkräfte der westlichen Welt hier entlangfahren, ist dies eine attraktive Route für Regierungsgegner, Bomben am Straßenrand zu platzieren.
Der Verkehr ist ein chaotisches Durcheinander. Hier wird eine besondere Technik des Drängelns praktiziert: Um in diesem bunten Chaos voranzukommen, muss man schubsen und rempeln.
Die Stoßstange des Autos muss ein oder zwei Zentimeter vor dem anderen rein. Manchmal muss man auf der linken Seite fahren, manchmal auf der rechten Seite, ein anderes Mal in entgegengesetzter Richtung. Ein Mann reitet einen Esel. Kinder auf einem Wagengespann treiben ihr Pferd an. Eine Frau in einer blauen Burka sitzt mitten auf der Straße.
Sicherheit ist wichtig. Das Verfahren für die Sicherheit der Mitarbeiter von Eupol, der Mission der Europäischen Union, die in Afghanistan Polizeikräfte ausbildet und unterstützt, ist sorgfältig entworfen. Außerhalb der eigenen Anlagen sind immer zwei Leibwächter dabei. Die Polizisten, die bewaffnet sind, sind die einzigen, die ohne Begleitung reisen dürfen. Ständig herrscht die Bedrohung, dass die Taliban die Polizei infiltrieren und von innen angreifen.
Erst an Weihnachten zog eine Polizistin unerwartet eine Waffe und erschoss einen amerikanischen Berater. Der Fall wird noch untersucht.
Piep. Piep. Eine SMS. "Schusswechsel drei Kilometer nach Osten." - Nach einer Minute, noch eine Mitteilung. "Es ist in Ordnung, es ist ein happy shooting." "Ja, sie schießen in die Luft, um etwas zu feiern", erklären die Mitarbeiter von Eupol, als ich erstaunt nachfrage.
Innerhalb der hohen und stark bewachten Mauern verdrängt man die Bedrohung. Hier herrscht die Routine des Alltags. Die Freizeit wird mit Aktivitäten gefüllt, um das Gefühl, eingesperrt zu sein, fernzuhalten.
Die Arbeit von Eupol deckt ein weites Spektrum ab: Wie bekämpft man die Korruption? Wie baut man eine stabile und zuverlässige Polizei auf, die ihre Bevölkerung schützt, während das Land aus militärischer Kontrolle zu einer zivilen Verwaltung wechselt? Eine neue Polizei, der die Bevölkerung vertrauen kann. In einem Land, wo die Mehrheit nicht lesen und schreiben kann, muss man andere Mittel zur Verbreitung von Informationen einsetzen. Eine eigene Fernsehserie mit dem guten und gut aussehenden Polizisten, der Verbrechen löst und für Gerechtigkeit kämpft, soll helfen.
Bei der Begegnung mit Afghanen wundern sich viele über deren aufrichtige Freundlichkeit. Es ist leicht, Sympathie zu empfinden. Dieses Bild fühlt sich sehr weit entfernt von dem, was man mit Terroranschlägen und anderen Gewalttaten verbindet. Immer, wenn ich mich alleine und zu Fuß in der Stadt bewege, werde ich mit freundlichem, bescheidenen Respekt empfangen. Und es ist durchaus möglich, sich in manchen Vierteln im Zentrum von Kabul alleine zu bewegen. Es ist als Frau aber riskanter und nie wirklich sicher.
Das Risiko, am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein, ist immer gegenwärtig. Eine Faustregel ist es, sich von den Angriffszielen der Widerstandsgruppen fernzuhalten: Gebäude von Regierung, Militär oder Polizei. Es gibt auch eine ständige Bedrohung für westliche Besucher, entführt zu werden. Die Armut ist riesig. Die Täter hoffen auf Geld.

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