Ökostrom-Kompromiss in letzter Minute

Berlin · Drei Tage vor der Schlussabstimmung über die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes legt die große Koalition in Berlin umfangreiche Änderungen an ihrem eigenen Entwurf vor. Zeit für Expertenanhörungen und sorgfältige Ausschussberatungen gibt es nun nicht mehr. Das regt die Opposition auf.

Berlin. Die Opposition tobt: "Missachtung des Parlaments", heißt es bei der Linken im Bundestag, "eine Unverschämtheit", meinen die Grünen. Denn Union und SPD wollen trotz der andauernden Debatte über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG-Gesetz) bei ihrem Zeitplan bleiben. An diesem Freitag soll der Bundestag über den Gesetzentwurf abstimmen.
Schuld am Hauruckverfahren hat aus Sicht der schwarz-roten Bundesregierung die EU-Kommission. Tatsächlich hatte Brüssel erst am Montag neue, fundamentale Bedenken vorgebracht, und das, obwohl Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia schon seit Monaten im Gespräch ist. Hektische Beratungen setzten nun in Berlin ein. Noch in der Nacht zum Dienstag bekamen die Fraktionsexperten von den Parteichefs schließlich Order, wie sie vorgehen sollten, am frühen Dienstagmorgen lag dann bereits eine ausführliche "Formulierungshilfe" des Wirtschaftsministeriums vor. Neben zahlreichen kleineren gibt es folgende zentrale Änderungen an der Ökostrom-Reform:

Eigenverbrauch: Bisher sind Anlagen, die Strom für den Eigenverbrauch produzieren, von der EEG-Umlage befreit. In ihrem ursprünglichen Entwurf hatte die Koalition das Privileg für den Bestand und für Kleinanlagen bis zehn Kilowatt belassen, bei Neuanlagen aber je nach Nutzungszweck 15 Prozent bis 50 Prozent der EEG-Umlage von derzeit 6,5 Cent je Kilowattstunde kassieren wollen. Das hatte die EU moniert. Die zwischenzeitliche Idee der Koalitionsexperten, einheitlich 40 Prozent bei Neuanlagen zu nehmen, war wiederum auf massive Widerstände in den Bundesländern gestoßen. Nun gibt es den Kompromiss, dass die 40 Prozent bis 2017 in Stufen erreicht werden, beginnend 2015 mit 30 Prozent und dann 35 Prozent im Jahr 2016. Bestandsanlagen bleiben befreit, auch wenn sie später ersetzt werden.

Härtefallklausel: Anfang April hatte sich Gabriel mit Almunia auf eine Liste jener energieintensiven Branchen geeinigt, die weiterhin von der EEG-Umlage befreit werden dürfen. Für jene Firmen, die bisher begünstigt waren, aber mit der neuen Regelung durch das Rost fielen, sollte nach deutschen Vorstellungen eine Härtefallklausel greifen: Sie sollten 20 Prozent der Umlage zahlen. Das wurde nun auf Druck Brüssels gekippt. Stufenweise müssen diese Firmen nun jedes Jahr 20 Prozentpunkte mehr zahlen, bis sie bei 100 Prozent sind. Es seien etwa 20 bis 30 Firmen betroffen, hieß es.

Wo Berlin hart bleibt: An einem Punkt ging Berlin nicht auf die EU-Forderungen ein. Importierter Grünstrom soll nicht, wie von Almunia verlangt, von der EEG-Umlage befreit werden. Denn dann würden deutsche Stromkunden indirekt polnisches Biogas oder norwegische Wasserkraft mitfinanzieren. "Das ist ein Angriff auf das EEG insgesamt", sagte SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. In den Koalitionsfraktionen ging man davon aus, dass die beschlossenen Änderungen der Kommission reichen. Zur Sicherheit soll Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aber noch mit EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso reden, wahrscheinlich beim bevorstehenden Europagipfel.

Zeitplan: Die Koalition will das Vorhaben bis zum 1. August im Gesetzesblatt haben. Sonst müssten Unternehmen, die bisher von der Umlage befreit waren, in ihren Bilanzen hohe Rücklagen bilden, weil das alte Recht ausläuft und neues noch nicht gilt. Und zwar rückwirkend bis 2012. Einige werde das in den Bankrott treiben, sagte Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs. Dass man der Opposition nicht wenigstens eine Woche mehr Beratungszeit gönnt, liegt wiederum am Bundesrat, der am 11. Juli in seiner letzten Sitzung von der Sommerpause beschließen soll.

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