Offensive mit Rückschlägen

BERLIN. Der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer (Grüne), hat jede Verantwortung für Visa-Missbrauch und steigende Schleuserkriminalität von sich gewiesen. In seiner live im Fernsehen übertragenen Vernehmung im Untersuchungsausschuss warf er der Opposition eine "Diffamierungs- und Rufmordkampagne" gegen seine Person vor.

Mit einem Siegerlächeln sitzt Ludger Volmer im weiten Rund des Saals und ordnet unter Blitzlichtgewitter seine Papiere. Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt gilt als Bauernopfer in der Visa-Affäre, die der parlamentarische Untersuchungsausschuss am Donnerstag erstmals fernsehöffentlich verhandelt. Nach seinem erzwungenen Rückzug vom außenpolitischen Sprecherposten der Grünen-Fraktion Mitte Februar war der Namensgeber des umstrittenen Volmer-Erlasses praktisch abgetaucht. Doch nun sind fünf fest installierte Kameras auf ihn gerichtet. Und der Zeuge geht nicht etwa in Sack und Asche. Volmer dreht den Spieß um. Als "einwanderungspolitischen Triebtäter" hatte ihn der Ausschussvorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) im Vorjahr bezeichnet. Für Volmer eine Steilvorlage, dem Unionsmann Befangenheit vorzuwerfen. Es sei schon "befremdlich", dass der "schärfste Ankläger" plötzlich Richter sei. Eine "Diffamierungs- und Rufmordkampange" werde da gegen ihn geführt. Und einmal in Fahrt, sucht Volmer auch gleich die Behauptung vom Tisch zu fegen, wonach eben jener Volmer-Erlass vom März 2000 die Ursache für den massenhaften Visa-Missbrauch gewesen sei. Das Ausländerrecht und die Schengen-Bestimmungen hätten den rechtlichen Rahmen gebildet. Die Neuregelung sei nötig geworden, um eine restriktive Visa-Praxis zu beseitigen, die "wir von der Vorgängerregierung übernommen hatten". Taktisch geschickt zitiert Volmer dabei sogar aus Schreiben von Unionsabgeordneten, die ihn in seiner Zeit als Staatsminister zwischen 1998 und 2002 bei Visa-Problemen um Hilfe baten. "Es ging darum, humanitäre Probleme zu lösen und nicht darum, für große Schichten Grenzen zu öffnen", so Volmer. Dass es nach der Weisung vom März 2000 zu massenhafter Schleuserkriminalität kam – besonders an der Kiewer Botschaft ging die Zahl der erteilten Visa steil nach oben – ist für den Zeugen kein Problem des Erlasses, sondern der Vertretungen vor Ort. "Wenn es in Kiew Probleme gab, dann bestimmt nicht wegen der politischen Willensbildung der Leitung." Am Tag zuvor war der Botschafter in Kiew, Dietmar Stüdemann, gegen solche Schuldzuweisung im Ausschuss zu Felde gezogen. Der Volmer-Erlass war im November 1999 in einer Besprechung mit Außenminister Joschka Fischer vorbereitet worden. Er habe sich als "einer der Initiatoren" gesehen, den Text aber weder verfasst noch verfügt. Den bekannten Passus "Im Zweifel für die Reisefreiheit" will Volmer sogar "in Frage gestellt" haben. Den Urheber jener Formulierung vermag der Zeuge nicht zu nennen. Zugleich erklärt Volmer, dass sich die Abwägung nur auf die Frage der Rückehrbereitschaft eines Reisewilligen bezogen habe. Auf Nachfrage der Union muss er jedoch einräumen, dass sich die Formel "Im Zweifel für die Reisefreiheit" auch auf die finanziellen Möglichkeiten des Antragstellers bezieht. Bereits im September 1999 gab es einen Runderlass des Auswärtigen Amtes, wonach eine nicht stattgefundene Bonitätsprüfung kein Grund zur Ablehnung eines Visa sein musste. Im Monat darauf kam es zu einer weiteren Anweisung, die den Umgang mit der Reiseversicherung "Carnet de touriste" neu regelte. Wer im Besitz dieses Dokuments zur Übernahme von Krankheits- und Rücktransportkosten war, brauchte fortan "in der Regel" keine Unterlagen mehr zum Reisezweck vorzulegen .

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