Online ein Halbgott, real ohne Perspektive

TRIER. Wo endet das Hobby, wo beginnt die Sucht? Die Diskussion über das Verbot so genannter "Killerspiele" läuft noch, und schon wird das noch junge Medium der Online-Spiele zum Erregethema. Ursachen und Definition der Online-Sucht sowie mögliche Lösungswege füllen Schlagzeilen, Studien und Diskussionsforen.

In Gabriele Farkes Internet-Portal onlinesucht.de findet man Bekenntnisse, die teilweise noch schlimmer sind als die beiden Fälle aus der Region Trier. Ehen und Beziehungen zerbrechen, Arbeitsplätze werden aufs Spiel gesetzt, Karrieren gehen den Bach hinunter. Sowohl Jugendliche als auch Erwachsene ziehen sich, so weit es geht, aus der Wirklichkeit zurück, kommunizieren nur noch in Chatrooms oder versinken in der Fantasy-Realität der Online-Rollenspiele. Es gibt viele Vorurteile, aber nur wenige repräsentative Zahlen. Zwei ungewöhnliche Partner haben zusammen eine Studie über Computer- und Videospielsucht erarbeitet: Das Krawall Gaming Network, ein Spieleportal im Internet, und die Berliner Charité haben 7000 Nutzer von Unterhaltungssoftware befragt. Das Ergebnis: 11,9 Prozent aller Computerspieler zeigen ein "süchtiges Spielverhalten". Die einzelnen Ergebnisse stimmen bedenklich. 22 Prozent der Befragten gaben dabei an, dass sie aufgrund von Computerspielen schon mal Beruf oder Schule vernachlässigt haben. Bei 15 Prozent der Befragten ging das so weit, dass auch negative Folgen auftraten. Sieben Prozent berichteten von Entzugserscheinungen, wenn sie nicht spielen können. Zwei Prozent aller Befragten erlitten sehr starke körperliche oder psychische Reaktionen auf Spieleabstinenz. Beide Partner warnen jedoch vor einer vorschnellen Verurteilung. "In der Debatte über Mediennutzung sollte nicht ständig darüber gesprochen wird, ob Spiele nun aggressiv machen oder nicht", sagt Ralf Thalemann vom Institut Medizinische Psychologie der Charité. "Stattdessen sollte die Frage einer falschen Mediennutzung im Mittelpunkt stehen. Das gilt gerade für den Kinder- und Jugendbereich, wo man über präventive Maßnahmen nachdenken sollte." Falsche Nutzung - dieses Stichwort fällt in der Szene sehr oft im Zusammenhang mit dem Online-Rollenspiel "World of Warcraft".Enorme Motivation

Dieses Spiel fordert einen hohen Zeitaufwand. Die Figur, die der Spieler durch die Fantasy-Welt steuert, wird um so stärker und erfolgreicher, je mehr Spielzeit er investiert. Der allgegenwärtige Anreiz, sich noch weiter zu verbessern, noch seltenere und mächtigere Waffen oder magische Gegenstände zu finden, noch schwierigere Missionen - im Rollenspiel-Jargon Quests genannt - zu absolvieren, sorgt dafür, dass niemals ein Endpunkt erreicht wird. Es geht immer weiter. Dazu kommt die Motivation, von seinen Mitstreitern bewundert zu werden. Spieler aus aller Welt schließen sich in Gilden zusammen, um gemeinsam noch schlagkräftiger und erfolgreicher zu werden. "In einer Gilde herrscht enormer Leistungsdruck", verrät Tobias Scherer (Name geändert), ein betroffener Jugendlicher aus der Eifel. "Wenn man dabei bleiben will, muss man Zeit investieren und Erfolge verbuchen. Ich war ein Leistungsträger meiner Gilde und habe mal eine Mitteilung eines Spielers aus Korea erhalten, der meinte, ich sei ein Genie." Online ein Halbgott, doch in der Realität ohne Arbeit oder Perspektive. Tobias: "Du findest im Spiel die Erfolge, die du im Leben nicht hast. Das weiß ich heute." "Nur der falsche und unbedachte Umgang mit Computerspielen macht aus einer spannenden und durchaus auch lehrreichen Freizeitbeschäftigung eine Sucht", sagt Ralf Thalemann. Jürgen Fritz, Leiter des Forschungsschwerpunkts "Wirkung virtueller Welten", sieht das Phänomen Online-Spiele als eine Verlagerung sozialer und realer Freizeitaktivitäten in eine virtuelle Welt. Das sei keinesfalls grundsätzlich abzulehnen: "Es ist eine Freizeitaktivität, die mehr und mehr zur Normalität wird." Fritz plädiert für mehr Gelassenheit: "Negative Auswirkungen der Online-Spiele hängen sehr vom Einzelnen ab, etwa ob er im realen Leben eine Ausgleichsbeschäftigung zum stundenlangen Spielen hat." Suchtexpertin Gabriele Farke sagt dazu: "Wenn man das Internet ins Leben integriert, ist es in Ordnung. Aber wenn man sein Leben ins Internet verlagert, ist es ein Problem."

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