Opfer der eigenen Kampagne

BERLIN. (vet) Die Schlagzeile schlug in Berlin wie eine politische Bombe ein: "SPD will Unionsfraktion sprengen", titelte die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer gestrigen Ausgabe. Demnach setzten die Sozialdemokraten auf eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages, um die traditionelle Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aufzuheben.

Zweck des Vorstoßes: Als stärkste Fraktion könnte die SPD ihren Anspruch untermauern, auch künftig den Kanzler zu stellen. Dass die Union darüber schäumte, versteht sich. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Peter Ramsauer, sprach von einem "eiskalten Erpressungsversuch", der CDU-Politiker Friedbert Pflüger von "putschartigen Zügen". Auch CDU-Chefin Angela Merkel nannte den Vorstoß "völlig unakzeptabel".Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. In einer schriftlichen Mitteilung ruderte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering zurück: Die Genossen betrieben "keine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages mit dem Ziel, die Bildung von Fraktionsgemeinschaften, wie die von CDU und CSU zu verhindern". Am frühen Morgen klang das freilich noch ganz anders. In einem Rundfunkinterview hatte SPD-Fraktionsvize Gernot Erler den Zeitungsbericht bestätigt ("Es gibt solche Bestrebungen, ja").

Offenbar sind die Sozialdemokraten Opfer ihrer eigenen Kampagne geworden. Schon am Wahlsonntag hatte Müntefering die SPD zur "stärksten Partei" erklärt. Der Trick erklärt sich aus einer rechnerischen Aufspaltung der Union. Auf den Bund hochgerechnet, kam die nur in Bayern antretende CSU auf 7,4 Prozent der Stimmen. Die Union lag bei 27,8 Prozent. Die SPD schaffte 34,3 Prozent. Die Konsequenz aus dieser Arithmetik wäre, dass die Genossen stärkste Fraktion im Bundestag sein müssten. So wurde es auch im geschäftsführenden Fraktionsvorstand der SPD am letzten Montag diskutiert. Dem Vernehmen nach soll Müntefering die Idee verworfen haben. Doch in den Köpfen anderer Teilnehmer spukte sie weiter.

Die Grünen hatten dagegen gleich klar gemacht, dass sie im neuen Bundestag nicht dafür die Hand heben. Und auch die Linkspartei winkte ab. Schließlich rekrutiert sie sich aus Mitgliedern zweier Parteien, der PDS und der WASG. "Ein Zurechtbiegen von Mehrheiten mit Geschäftsordnungstricks machen wir nicht mit", sagte Pressesprecher Hendrik Talheim.

Auch in der SPD selbst wurde der Vorstoß als völlig daneben empfunden. "Das ist eine Katastrophe. Und ich bin froh, dass das schnell eingefangen wurde", meinte ein einflussreiches Fraktionsmitglied. Manche spekulierten, dass Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hinter der Angelegenheit stecken könnte. Sein Posten ist traditionell für die stärkste Fraktion reserviert.

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