Orakeln für hungrige Seelen

TRIER. Tages-, Monats- und Jahres-Vorhersagen: Immer mehr Menschen leben vom Deuten der Sterne, immer mehr Menschen richten ihr Leben nach den Sternen. Dabei ist selbst unter Astrologen umstritten, was und wie viel von der Zukunft überhaupt vorhergesagt werden kann.

Astrologie spielt in der ungarischen Adelsfamilie der Fáy eine große Rolle. Katalin Fáy hat ihr Wissen vom Vater geerbt. Der hat es von seinem Vater gelernt und der wiederum von seinem Vater. Jener Fáy, Urgroßvater von Katalin, war laut Familienchronik immerhin Gesundheitsminister der K. & K. Monarchie und beriet das österreich-ungarische Herrscherhaus in astrologischen und gesundheitspolitischen Fragen. "Wer Menschen führen will, braucht psychologisches, rechnerisches, wirtschaftliches, aber auch astrologisches Wissen", sagt die 50-jährige Astrologin aus Trier. Dass dies kein Widerspruch sein muss, beweist ihre eigene Biographie: Maschinenbauingenieur- und Wirtschaftsstudium, Soziologie- und Psychologie-Studium sowie Ausbildung in astrologischer Psychologie. "Ein Sternzeichen allein sagt wenig. So ist das Horoskop eines Esels für ein bestimmtes Datum zunächst nicht zu unterscheiden von dem eines Menschen", sagt sie und widerspricht damit dem typischen Bild einer Sterndeuterin. Es sei auch nicht so, dass Planeten den Menschen beeinflussten, sie spiegelten lediglich ein Muster wider, "das Muster eines Augenblicks". Das gebe die innere Struktur eines Menschen wider. Dass aber viele Menschen gerade an den Einfluss der Sterne glauben, zeigen verschiedene Auswüchse: Jobsuche mittels himmlischer Konstellationen, Charakterdeutung eines Fußballers anhand des Sternenhimmels zur Zeit eines Tores, Himmelshilfe für die Entscheidung über Finanzen und Lebenspartner. Selbst Politiker wie Ronald Reagan, Boris Jelzin und François Mitterand haben sich an astrologischen Rat gehalten. Auch die Deutschen sind heiß auf Horoskope: Immerhin 50 Prozent halten Zusammenhänge zwischen Planetenkonstellationen und Schicksal für möglich, jeder Zehnte ist davon überzeugt. Mehr als die Hälfte der Bundesbürger liest Horoskope, insgesamt 25 Prozent glauben an einen Einfluss des Sternzeichens oder des Geburtshoroskopes auf den Verlauf des Lebens (Umfrage Forsa-Institut). Dabei gibt es einen Langzeit-Trend: Die Deutschen werden immer abergläubischer, hat die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) bei Darmstadt ermittelt. Die dem Verein angeschlossenen 700 Wissenschaftler befassen sich mit esoterischen Heilslehren und Vorhersagen aus wissenschaftlicher Sicht. "Wirklich überraschende Treffer landete niemand der zahlreichen Experten", sagt GWUP-Mitglied und Mathematiker Michael Kunkel. Er untersucht für die Gesellschaft rückblickend für ein Jahr die Prognosen der Astrologen. Für 2004 hätte von 90 untersuchten Prognosen "nicht eine einzige zugetroffen". Vorhersagen meist schwer zu widerlegen

Meist legten sich die Sterndeuter nicht konkret fest, sondern orakelten so nebulös, dass sie später schwer zu widerlegen seien. Dabei sei selbst unter Astrologen strittig wie viel Zukunft überhaupt vorhersehbar ist. "Viele Voraussagen sind Humbug, zumindest, wenn es um konkrete Vorhersagen geht", sagt Kunkel. Astrologin Katalin Fáy lehnt Vorhersagen ab. "Ich sage nicht, das kommt auf Sie zu, das wäre unseriös", sagt sie. Denn jedes Symbol habe 1000 Bedeutungen. "Ich sage nur: Die Zeit ist nun gut für... Was jemand daraus macht, bleibt ihm selbst überlassen. Der Sinn einer Beratung ist mehr, zu erkennen, wer man ist, und die persönliche Mitte zu finden." Und da habe sie etwa in Österreich vielfach Jugendlichen bei ihrer Berufswahl geholfen. Den Reiz solcher Deutungen kann Skeptiker Michael Kunkel durchaus nachvollziehen. Mit Vorhersagen könne ein vermeintlicher Blick in die Zukunft geworfen werden. "Das gibt scheinbare Sicherheit und die Gewissheit, das Kommende besser im Griff zu haben", sagt der Mathematiker. Weil überwiegend nur Gutes vorhergesagt werde, werde den Menschen Mut gemacht. "Das ist eine Form von Lebenshilfe, wozu man die Astrologie eigentlich nicht bräuchte. Für einige sei sie eine Ersatzreligion, für die meisten gute Unterhaltung." So sieht auch Katalin Fáy ihren Job eher als ganzheitliche Aufgabe denn als reine Lehre – und ärgert sich darüber, dass in ihrer Branche immer mehr schwarze Schafe Fuß fassen. "Ich mache das jetzt mehr als 30 Jahre. Aber inzwischen beschäftigen sich so viele Menschen oberflächlich mit Astrologie, dass eine echte Beratung fast unmöglich wird", sagt die Trierer Astrologin. Kein Wunder, ist doch das Geschäft mit den Sternen lukrativ. Es gibt zwar keine offiziellen Daten und Statistiken über die Zahl der Astrologen in Deutschland und deren Verdienst. Laut vorsichtigen Schätzungen der GWUP setzen die etwa 6000 offiziell registrierten Astrologen aber jährlich rund 150 Millionen Euro um.

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