Paragrafen und Weinlisten oder: Föderalismus ganz praktisch

BITBURG. Hochkarätig. Diese Eigenschaft gilt für die Bitburger Gespräche in vielerlei Hinsicht. Koryphäen hinter dem Rednerpult, Professoren davor - so wird eine Veranstaltung fast zwangsläufig zum Erfolg. Die 44. Auflage mit dem Thema Föderalismusreform, die gestern endete, machte keine Ausnahme.

Wer keinen akademischen Titel hat, braucht bei den 44. Bitburger Gesprächen ein gesundes Selbstbewusstsein. Sonst sollte er sich den Blick in die Teilnehmerliste besser ersparen. 172 Namen sind dort aufgelistet. Vor 60 von ihnen steht ein "Prof. Dr.", vor weiteren 42 immerhin ein "Dr.". Zwischen lokalen Größen wie Triers Oberbürgermeister Helmut Schröer, dem Bitburg-Prümer Landrat Roger Graef, seinem Trier-Saarburger Kollegen Richard Groß und ADD-Präsident Josef Peter Mertes sitzen im "Europasaal" des Dorint-Hotel in Biersdorf am See Gäste, wie sie in diesen Breiten eher selten sind. Ernst Benda, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zum Beispiel, ist in die Eifel gekommen, der Präsident des Bundesgerichtshofs Günter Hirsch, Bundes-Justizminister a.D. Edzard Schmidt-Jortzig und natürlich der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog mit seiner Lebensgefährtin Alexandra von Berlichingen. Herzog sitzt dem Präsidium der Trierer Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik vor, die zu den Bitburger Gesprächen eingeladen hat. Wenn derart gewichtige Leute zusammenkommen, darf man annehmen, dass es um ebensolche Inhalte geht. "Generalthema Föderalismusreform" steht in der Einladung, und dass dieser Komplex es zurecht dorthin geschafft hat, wird spätestens bei den Vorträgen und Diskussionen klar. "Soviel Heterogenität wie möglich und soviel Homogenität wie nötig." Diese Maxime hatte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller am Donnerstag im Eröffnungsvortrag ausgegeben (der TV berichtete). Nur: Wie viel Heterogenität ist möglich? Und wie viel Homogenität nötig? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die zweitägigen Gespräche. "Wettbewerb" heißt ein Stichwort, das immer wieder fällt. Klaus Bräunig vom Bundesverband der Deutschen Industrie kritisiert, derzeit gelte in Deutschland "Koordination total". "Wir warten immer auf das langsamste Schiff." Er warb dafür, die Gestaltungsspielräume der Länder zu erweitern, damit "beste Lösungen für den Bürger" gefunden werden könnten. "Medizin oder Gift? Die Dosis macht‘s! Das gilt auch für den Wettbewerb", sagt dagegen der rheinland-pfälzische Finanzminister Gernot Mittler und plädiert eher für Homogenität. Überlasse man beispielsweise die Steuererhebung den Ländern, würden stärkere gestärkt und schwächere geschwächt. Ein zweiter Punkt, der in Biersdorf immer wieder auftaucht, ist die Handlungsfähigkeit Deutschlands auf europäischer Ebene. Die, heißt es, müsse bei einer Reform des Föderalismus - die kommen muss, da sind sich alle Tagungs-Teilnehmer einig - gestärkt werden. Vor allem Klaus Hänsch, ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, mahnt eindringlich, durch die derzeit nötigen Abstimmungen zwischen Bund und Ländern agiere Deutschland in Brüssel zu reaktiv und zu wenig flexibel. "Um Mehrheiten zu erreichen, müssen wir bereits am Anfang und nicht erst am Ende eines Gesetzgebungsprozesses verhandlungsfähig sein." Der Bund sei "der einzige Verbündete der Länder in Brüssel" und solle deshalb gestärkt werden, fordert Hänsch. Die Thesen werden jeweils kontrovers diskutiert - und bisweilen so lebhaft, dass der ein oder andere Herr Professor die gute Kinderstube vergisst und dazwischen ruft. Während sich einige Teilnehmer Paragrafen um die Ohren hauen, dass es in manchen Gesichtern vor Fragezeichen nur so wimmelt, schnarcht auch schon mal ein Teilnehmer leise vor sich hin. Oder studiert die neue Liste eines Weinhändlers. So ist das eben mit der Heterogenität. Doch als der Vorstandsvorsitzende der Trierer Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik, Hans-Hugo Klein, schließlich festhält, man stehe "am Ende einer gelungenen Tagung", rückt mit dem allgemeinen Beifall die Homogenität in den Vordergrund. So funktioniert Föderalismus.

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