Penner rüttelt wach

BERLIN. Beschwerde-Rekord: Gefährliche Auslandseinsätze, akute Geldnot und massive Veränderungen der Bundeswehr haben dazu geführt, dass sich im vergangenen Jahr so viele Soldaten wie noch nie beklagt haben.

Die Zeiten für Soldaten sind angesichts der geplanten Neuausrichtung der Bundeswehr schwierig. Willfried Penner, Wehrbeauftragter des Bundestages, kann davon ein Lied singen. Seit Einführung des Amtes 1959 sind noch nie so viele Klagen auf dem Schreibtisch des "Kummerkastens" der Truppe gelandet wie 2002: 6436 "Vorgänge", 32 Prozent mehr als im Vorjahr. "Und der Trend nach oben hält an", sagte Penner gestern in Berlin bei der Vorstellung seines Jahresberichtes. "Kümmernisse, Schwächen und Ärgernisse"

Vor allem die wachsende Zahl der Auslandseinsätze macht den Soldaten zu schaffen. Insgesamt sind es "die großen und kleinen Sorgen", und zwar "breit gefächert", um die sich Penner kümmern muss. Einige Beispiele: Soldaten beschwerten sich über den Befehl, Piercings zu entfernen. Vorgesetzte fragten dagegen, ob eine solche Anordnung zulässig sei. Der Wehrbeauftragte konnte für Klarheit sorgen: Sichtbare Piercings sind kein dezenter Schmuck und dementsprechend zu entfernen. Zu den im Bericht enthaltenen "Kümmernissen, Schwächen, Ärgernissen" (Penner) gehören allerdings auch 111 Vorkommnisse mit dem Verdacht auf rechtsextremen Hintergrund (2001: 196), 75 Fälle von Verstößen gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, unter denen vor allem Soldatinnen zu leiden hatten, sowie 65 Eingaben von Truppenangehörigen, die sich gemobbt fühlten. Den größten Block von fast 2000 Eingängen machten Personal-Angelegenheiten der Zeit- und Berufssoldaten aus. Den höchsten Zuwachs gab es laut Wehrbeauftragten im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen, denn sie zehren nach Ansicht des Wehrbeauftragten besonders an den Nerven der Truppe. Die Zahl der Eingaben gegenüber 2001 stieg um 100 Prozent auf 1150 Vorgänge. Penner machte gestern deutlich, dass sich die Teilnahme an Einsätzen fern der Heimat mittlerweile zur Normalität entwickelt habe. Die Familien blieben davon nicht "unberührt", weswegen die Einsatzdauer von sechs Monaten vielen Soldaten zu lang sei. Darüber hinaus gab es auch ganz spezielle Klagen - wie von Soldaten am Horn von Afrika: Sie beschwerten sich vor allem über die unzureichende Klimatisierung der Schiffe. Aus fast allen Einsatzgebieten gab es Kritik an der nicht-klimagerechten Ausstattung der dortigen Einheiten. Viel zu wenig bekannt sei, sagte Penner, dass die Bundeswehr im Inland "massiv" die Auswirkungen der Auslandseinsätze zu spüren bekomme. Die Truppe habe mit einer "zunehmenden Grenzbelastung" zu kämpfen. Bei der anstehenden "tiefgreifenden Strukturreform" dürften die Soldaten daher nicht überstrapaziert werden. Ebenso klar sprach sich Penner dafür aus, die um zehn Prozent geringeren Ostbezüge "unverzüglich" auf Westniveau zu bringen. 15 603 der 29 716 Soldaten in den neuen Ländern sind davon betroffen.

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