Pfade des Alltags verlassen

Nach dem Schlemmer-Marathon zur Weihnachtszeit, den tollen Tagen folgt sieben Wochen vor Ostern die Fastenzeit. Das Kontrastprogramm. Wie sieht der Brauch bei uns aus?

Trier. Im Interview erzählt Guido Hepke, Pfarrer der evangelischen Kirche in Trier, über Traditionen, moderne Fastenarten und wie man durch Fasten den Weg zu sich selbst finden kann.

Woher kommt der Brauch?

Hepke: Die christliche Fastentradition vor Ostern erinnert daran, wie Jesus gelebt und gehandelt hat. Das Matthäusevangelium erzählt (Mt. 4,2): Nach seiner Taufe zog sich Jesus in die Wüste zurück - um zu fasten. Das Fasten ist dabei eine besondere Form des Gebetes. Schon im Alten Testament wird diese Tradition vorgelebt: Wer sich an Gott wendet, bereitet sich mit einer Zeit des Fastens darauf vor. Nicht immer, aber ziemlich oft. Das Fasten holt den Menschen aus seinem Alltag heraus. Und gibt ihm so die Chance, Gott näher zu sein.

Wie wurde früher gefastet?

Hepke: Kein gutes Essen. Kein Alkohol. Keine Feiern. Feierzeiten und Fastenzeiten waren im Jahreskreis klar festgelegt. Aber die Pflicht zum Fasten wurde dadurch mehr und mehr zu einem Zwang. Die Bedeutung veränderte sich: Mehr und mehr ging es darum, sich durch Enthaltsamkeit und Askese bei Gott etwas zu verdienen. Fasten als gutes und frommes Werk, als Eintrittskarte in den Himmel. Mit dieser Haltung hat Martin Luther aufgeräumt. Dabei hat der Reformator selbst immer wieder gefastet. Aber nicht aus Pflichtgefühl. Oder, um sich etwas zu verdienen bei Gott. Luthers Erfahrung war eine andere: Das Fasten hilft, sich auf das Gespräch mit Gott einzulassen.

Welche Meinung vertritt die Kirche? Ist Fasten Pflicht?

Hepke: Nein. In der evangelischen Kirche ist das Fasten keine Pflicht. Und erst recht keine lästige Pflichtübung zur Erfüllung religiöser Normen. Fasten ist ein Angebot. Eine Chance, für ein paar Wochen die eingetretenen Pfade des Alltages zu verlassen. Auch wenn das nur in einem winzigen Bereich geschieht. Etwa, wenn ich auf die liebgewonnene tägliche Schokolade verzichte, das Auto stehen lasse. Oder mir täglich zehn Minuten fest einplane, um regelmäßig in der Bibel zu lesen.

Was gilt als Fasten?

Hepke: Kleinigkeiten, die mir Abstand ermöglichen. Vom Alltag, von mir selbst und meinen Gewohnheiten. Und die den Blick auf das Eigentliche richten: Wie lebe ich - in dieser Welt und mit Gott? Und: Möchte ich eigentlich so leben - oder anders?

Welche Fastenart ist noch zeitgemäß?

Hepke: Zeitgemäß kann vieles sein: Der Verzicht auf bestimmte Konsumgüter, um sich die schleichende Abhängigkeit bewusstzumachen: von einem bestimmten Lebensstandard und den damit verbundenen Gewohnheiten. Zeitgemäß ist auch das bewusste Sich-Zeit-nehmen für Bibellese, Gebet oder Meditation. Alleine oder mit anderen. Um dem Eeigentlichen im Leben nachzuspüren. Fasten kann auch darin bestehen, sich selbst Gutes zu tun. Wenn man verlernt hat, mit sich achtsam umzugehen. Entscheidend ist die Freiheit, sich für das Fasten zu entscheiden. Entscheidend ist der Wunsch, einmal neu nachzudenken über Gott und die Welt - und das eigene Selbst. Dem nachzuspüren, was mich trägt in meinem Leben. Wer mich trägt.

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