Pfusch oder Fortschritt?

BERLIN. Am Entwurf zur Gemeindefinanzreform scheiden sich die Geister. Die unionsgeführten Bundesländer haben bereits Widerstand gegen die Berliner Pläne angekündigt.

Ist die geplante Reform der Gemeindefinanzen nun ein "großangelegtes Täuschungsmanöver zu Lasten der Kommunen", wie der Städte- und Gemeindebund meint? Oder ist sie ein "gewaltiger Fortschritt", wie Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement in demFinanzpaket erkannt haben will? Erwartungsgemäß scheiden sich die Geister an dem finanztechnischen Vorhaben, das eine rot-grüne Koalitionsrunde am Montagabend in Hannover geschnürt hat. Klar ist jedenfalls: Die Kritik überwiegt bei weitem, und die Zustimmung zumindest der unionsregierten Bundesländer ist mehr als fraglich. Freiberufler sollen Finanzloch stopfen

Am Dienstag Nachmittag hatten Finanzminister Hans Eichel und Clement die Presse geladen, um das komplizierte Werk zu erläutern. Dabei war ein emsiges Bemühen erkennbar, Optimismus zu versprühen und die schwere Geburt mit ihren Unzulänglichkeiten schön zu reden. Clement kleidete seine Zuversicht in beschwörende Appelle an die Länder, sich nicht zu verweigern, schon wegen "der Erwartung der deutschen Öffentlichkeit". Das Spitzengespräch der rot-grünen Reformer hatte auf Wunsch des urlaubenden Kanzlers im noblen Restaurant "Seefugium" am Rande Hannovers stattgefunden. Teilnehmer waren neben Gerhard Schröder und den Ministern Eichel und Clement noch SPD-Fraktionschef Franz Müntefering und Generalsekretär Olaf Scholz sowie die grünen Fraktionsvorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt. Beschlossen wurde folgendes: Die Städte und Gemeinden werden in erheblichem Umfang entlastet, was ihnen im nächsten Jahr 4,5 Milliarden Euro und danach dauerhaft fünf Milliarden Euro jährlich bescheren soll. Ziel: Die Einnahmen der Kommunen sollen Konjunktur unabhängig gemacht und dadurch verstetigt werden. Finanziert werden soll das Paket aus der "Verbreiterung der Bemessungsgrundlage", wie Eichel verschämt die Heranziehung der 760 000 Freiberufler und Selbständigen zur Gewerbsteuer bezeichnete. Allerdings sollen die Betroffenen ihren Gewerbesteueranteil mit der Einkommensteuer verrechnen können. Ferner sollen die großen Kapitalgesellschaften zahlen, deren Verlustverrechnung eingeschränkt (gestreckt) wird. Nach ersten Schätzungen werden sie mit rund vier Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Schließlich will der Bund zugunsten der Kommunen auf 1,4 Prozentpunkte Umsatzsteuer verzichten (rund 1,8 Milliarden Euro). Abgerundet wird das Gesamtpaket mit der Verrechnung der erhofften "Effizienz-Gewinne" (Clement) aus der geplanten Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Länder kündigten prompt Widerstand an. Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel nannte die Ausweitung der Gewerbesteuer einen "Etikettenschwindel", dem er im Bundesrat nicht zustimmen werde. Auch sein bayerischer Kollege Edmund Stoiber ("rot-grüner Pfusch") will dies nicht mittragen. Ob Unions-Mittelstandschef Peter Rauen, Hessens Regierungschef Roland Koch, der Bundesverband der deutschen Industrie, der Bundesverband der Selbständigen, der Zentralverband des Handwerks oder die FDP: Die Kritik an dem Entwurf ist flächendeckend.

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