Pickelhäring von Querlequitsch

Die zehn Gebote enthalten 279 Wörter, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 300 Wörter, die Verordnung der Europäischen Union über den Import von Karamelbonbons 25 911 Wörter. Die Regelungswut der Eurokraten ist legendär, ebenso der Spott darüber.

Offenkundig weltfremde Apparatschiks grübeln über die tödlichen Gefahren von Überraschungs-Eiern, beackern voller Inbrunst schwer wiegende Menschheits-Probleme wie den Krümmungswinkel der Gurke oder sinnieren über den Geräuschpegel in Ohrenhöhe des Fahrers von landwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern. Der Normalmensch wendet sich mit Grausen. Europa? Nein, danke! Die Auftritte der Staats- und Regierungschefs passen ins Bild. Das Gezerre im Europäischen Rat um die Verfassung zeigt einmal mehr: Zank, Neid, Egoismen, nationale Interessen diktieren das Geschehen. Streiten, feilschen, Ecken und Kanten abschleifen. Am Ende ein Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner: Der Kuchen ist so geteilt, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen. Immerhin: Derlei diplomatische Qual lässt sich wohlwollend als "gelebte Demokratie" interpretieren. Völlig unprofessionell wirkt indes die Suche nach dem nächsten Kommissionspräsidenten. Der einzige, der mehrheitsfähig ist, ziert sich: Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Statt dessen: ein Geflecht aus falschen Fährten, echten Intrigen und verborgenen Ambitionen. Es geht zu wie auf dem Rummel: Das Karussell dreht sich immer schneller, immer neue Bewerber fahren mit - und enden als Witzfiguren in der Geisterbahn. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Jede Gemeinderats-Sitzung ist besser vorbereitet. Das erbärmliche Schachern um die Nachfolge von Romano Prodi mutet wahrlich nicht an wie die Kandidatenkür für den wichtigsten Posten, den Europa derzeit zu vergeben hat. Es wirkt eher wie eine Szene aus dem "Bäurischen Machiavellus", einem gut dreihundert Jahre alten Lustspiel von Christian Weise. Der beschreibt satirisch-boshaft, wie das Dorf Querlequitsch seinen Pickelhäring ins Amt hievt - den Spaßmacher, Hochzeits- und Leichenbitter vom Dienst, eine lächerliche Figur, umgeben von nicht minder lächerlichen, wichtigtuerischen, aufgeblasenen Menschen. Hilfe, Herr Juncker, retten Sie Europa! p.reinhart@volksfreund.de

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