Plaudern über die Peitsche

SEOUL. (dpa) Südkorea befindet sich im Streit um das nordkoreanische Atomprogramm zunehmend im Dilemma. Nach dem von Pjöngjang verkündeten Nukleartest erwarten vor allem die USA von ihrem Bündnispartner in Seoul, dass er die Sanktionsbeschlüsse des Weltsicherheitsrats gegen das Regime im Norden konsequent befolgt.

Dies hat die Regierung auch am Donnerstag US-Außenministerin Condoleezza Rice in Seoul noch einmal versichert, doch will Südkorea möglichst die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Nachbarn beibehalten. Nach Auffassung Seouls sind die Kooperationsprojekte nicht Ziel der Finanzsanktionen und des Handelsembargos für Rüstungsgüter. Der politische Druck auf die südkoreanische Regierung nimmt derweil zu. Im eigenen Land werden die Rufe nach einer Kursänderung in der bisherigen Nordkorea-Politik immer lauter. Kritiker sehen die Annäherungspolitik schon seit langem als gescheitert an. Das Hauptargument der konservativen Opposition: Die Wirtschaftsprojekte mit Nordkorea dienen dem stalinistischen Regime als "Dukatenesel", mit dem es seine Atomwaffenentwicklung finanziert. In diesem Zusammenhang geht es vor allem um zwei Projekte, die mit viel Engagement und Geld aus Südkorea entstanden. Das eine ist ein Industriepark in der nordkoreanischen Stadt Kaesong. Das andere ist das Tourismusprojekt im Kumgang-Gebirge an der nordkoreanischen Ostküste. Vor allem letzteres hat großen Symbolcharakter für Südkorea, weil es das erste Projekt war, das Südkoreanern den Zugang in den abgeschotteten Norden bescherte. Trotz des seit knapp drei Jahren schwelenden Konflikts um das Atomprogramm Nordkoreas hielt der südkoreanische Präsident Roh Moo Hyun an der "Sonnenscheinpolitik" seines Vorgängers Kim Dae Jung konsequent fest. Seoul setzt vor allem auf den Langzeiteffekt eines "Wandels durch Handel". Die Hoffnung ist, Pjöngjang langsam zu einer Öffnung bewegen zu können.Weitere Spannungen befürchtet

Den USA dürften die innerkoreanischen Kooperationsprojekte jedoch ein Dorn im Auge sein. Indirekte Kritik kam zuletzt vom US-Chefunterhändler für die Sechs-Länder-Gespräche über den Atomstreit, Christopher Hill. Kumgang scheine dem Ziel zu dienen, "den nordkoreanischen Regierungsstellen Geld zu geben", sagte er in Seoul. Die UN-Sanktionsbeschlüsse bergen nach einhelliger Auffassung große Probleme für Südkorea. Es wird vor allem befürchtet, dass eine Einstellung der Kooperationsprojekte als Druckmittel die militärischen Spannungen wieder anheizen könnte. Allerdings hatte Seoul schon die Lieferungen von Hilfsgütern an den verarmten Norden ausgesetzt. Vielen geht das nicht weit genug. Südkorea laufe Gefahr, in eine Situation zu geraten, in der es zur Geisel der nordkoreanischen Bedrohungen wird, meint der Experte Kim Tae Woo vom Institut für Verteidigungsanalyse in Seoul. Nach seiner Meinung ist es Zeit, dem Regime in Nordkorea nicht mehr "Zuckerbrot" zu geben, sondern die "Peitsche" zu zeigen. Eine Debatte über einen möglichen Zusammenbruch des Regimes in Pjöngjang ist derweil für die Regierung in Seoul tabu. Ein Kollaps könnte schließlich in Nordkorea zu einer Kurzschlussreaktion führen. Angesichts der nuklearen Bedrohung hat jedoch auch Präsident Roh nun die eigene Annäherungspolitik offen in Frage gestellt und von Änderungen gesprochen. Doch von einer kompletten Abweichung vom bisherigen Kurs ist bisher nicht die Rede. Erst ein zweiter befürchteter Atomtest würde Seoul wahrscheinlich zu einer vollkommenen Umkehr zwingen.

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