Pleitiers vor roten Roben

BERLIN. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt heute in Sachen Berlin gegen Berlin. Die Stadt klagt die finanzielle Hilfe des Bundes ein.

1992 hatte das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal über Haushaltsnotlagen von Ländern zu entscheiden. Bremen und das Saarland sahen sich am Ende ihrer Möglichkeiten. Die Karlsruher Richter sprachen beiden Hilfen des Bundes in Milliardenhöhe zu. Der wichtigste Satz ihres Urteils aber lautete: "Besonders dringlich ist es, dass Bund und Länder gemeinsam Verpflichtungen und Verfahrensregelungen festlegen, die der Entstehung einer Haushaltsnotlage entgegenwirken". Diesen Satz haben Bund und Länder bis heute souverän ignoriert, und nun ist der Kladderadatsch da. Bremen und das Saarland brauchen schon wieder Geld und klagen erneut. Weitere Länder bekunden, dass auch sie an der Pleite-Grenze sind. Mit Berlin steht heute als Erstes ein wahrer Schuldenkoloss auf der Karlsruher Matte. Nicht weniger als 35 Milliarden Euro Verbindlichkeiten möchte die Stadt abwälzen - oder wenigstens deren Zinslasten. Zur Anhörung hat sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit angesagt. Der Bund bietet Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks auf, die Länder sind prominent vertreten. Die Veranstaltung dürfte ein Hauen und Stechen werden. Falls Berlin gewinnen würde, müssten der Bund und die reichen Länder zahlen. Die toben schon vorsorglich. "Bayern wird nicht für politische Fehlentscheidungen Berlins einstehen", sagte der Finanzminister des Freistaates, Kurt Faltlhauser. Er verwies ebenso wie sein Baden-Württemberger Kollege Gerhard Stratthaus darauf, dass Berlin noch reichlich Vermögen habe, unter anderem 270 000 landeseigene Wohnungen und Unternehmensbeteiligungen. Die solle die Stadt erst einmal verkaufen. Sachsens Regierungschef Georg Milbradt erwartet "fatale Folgen", falls Berlin gewänne. Dann würde jegliche Haushaltsdisziplin unterminiert, "und wir haben eine mittlere Staatskrise". "Sparen bis es quietscht" hatte Wowereit den Hauptstädtern verordnet. Von 1997 bis 2004 senkte Berlin seine Ausgaben um 1,1 Prozent, während sie in den alten Ländern um 11,9 Prozent stiegen. Und das merkt man überall in der Stadt, in der die Straßen Löcherpisten sind, die Tarife im öffentlichen Dienst freiwillig um zehn Prozent gesenkt wurden und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus ersatzlos entfiel. Wowereit badet aus, was Vorgänger Eberhard Diepgen hinterließ. Über 60 Milliarden Euro Schulden hat die Stadt. Die Zinsen für diesen Schuldenberg fressen Wowereits Sparerfolge auf. Selbst wenn, wie von den Südländern gefordert, noch mehr Ausgaben gekürzt würden, stiegen die Schulden trotzdem immer weiter an. Der Dresdener Finanzwissenschaftler Helmut Seitz, durchaus ein Kritiker der Berliner Verantwortlichen, kommt zu dem Schluss: "Alle Politiksimulationen zeigen, dass es Berlin aus eigener Kraft nicht gelingen kann, eine nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben". Die Stadt pocht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die negativen Parameter, die seinerzeit beim Saarland und in Bremen für eine Nothilfe ausgereicht hätten, seien allemal erreicht. Experten glauben jedoch nicht, dass Karlsruhe sich ohne Widerstand erneut in die Rolle des Insolvenzrichters drängen lässt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort