"Polen orientiert sich an Ungarn"

Wie umgehen mit der neuen polnischen Regierung der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PIS), die ihre Macht brachial ausnutzt? Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit Thomas Nord, Bundestagsabgeordneter der Linken und Chef der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe.

"Polen orientiert sich an Ungarn"
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Wie erklären Sie sich das Erstarken der Nationalisten in Polen? Thomas Nord: Die Vorgängerregierung hat zwar wirtschaftlich erfolgreich gearbeitet, aber die Vorteile dieser Entwicklung sind längst nicht bei allen Polen angekommen. Es gibt dort erhebliche soziale Verwerfungen, die leider nur von rechtsaußen angesprochen wurden. Wie bewerten Sie die ersten Gesetze der neuen Regierung zu Medien und Verfassungsgericht?Nord: Im Kern macht PIS das, was viele ihrer Funktionäre bei Besuchen hier in Berlin schon angekündigt hatten: Man orientiert sich an Ungarn, an dem Modell eines autoritären Staates. Das wird jetzt mit Präzision und hohem Tempo durchgezogen. Im Wahlkampf hatte PIS allerdings gegenüber den Polen den Eindruck erweckt, man wolle eine moderatere Gangart gehen.Ist das alles noch europakompatibel?Nord: Diese Frage hat zwei Seiten. Die Europäische Union hat klare vertragliche Grundlagen. Wenn man Polen nun vorwirft, sie verletze EU-Recht, dann muss man das nachweisen. Ich bin mir nicht sicher, dass das gelingen wird, denn die neue Regierung verhält sich geschickt. Sie segelt hart am Rande des Legalen. Dass das alles aus unserer Sicht natürlich Eingriffe in die Gewaltenteilung oder die Medienfreiheit sind, das ist die politische Bewertung.Sie sind also skeptisch gegenüber der Idee, den europäischen Rechtsstaatsmechanismus in Gang zu setzen?Nord: Natürlich muss die EU darauf achten, dass ihre Werte eingehalten werden. Eine Prüfung ist deshalb nachvollziehbar. Aber ob die Drohung mit Sanktionen wirklich hilft, bezweifele ich. Und wenn sich herausstellt, dass Polen formal nicht gegen EU-Recht verstoßen hat, wäre ein solches Verfahren sogar kontraproduktiv. Denn die PIS arbeitet ja mit dem ideologischen Muster, dass Brüssel wie Moskau ist. Sollte sich Deutschland mit Kritik besonders zurückhalten?Nord: Vor dem Hintergrund der Geschichte sicherlich. Außerdem muss jeder Eindruck von Bevormundung vermieden werden. Man muss aber mit der Zivilgesellschaft in Polen intensiv zusammenarbeiten. Letztlich können nur die Polen selbst ihre Demokratie verteidigen. Es gab in den vergangenen Jahren regelmäßig Gipfeltreffen des sogenannten Weimarer Dreiecks - Warschau, Berlin, Paris. Ist dieses Format tot?Nord: Die PIS hatte schon vor den Wahlen erklärt, dass sie davon wenig hält und eher die engere Zusammenarbeit mit Budapest und Bukarest sucht. Also muss man damit rechnen, dass das Weimarer Dreieck nicht mehr die frühere Bedeutung haben wird. Auch aus anderen osteuropäischen Ländern kommen nationalistische und ausländerfeindliche Töne. Sind diese Länder zu früh zur EU gekommen?Nord: Was heißt zu früh? Es gab damals große Bedenken, aber die Entscheidung ist so gefallen. Die Länder sind Mitgliedstaaten, und jetzt muss man sich mit ihnen auseinandersetzen. wkExtra

Thomas Nord (58, Foto: dpa) ist Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe. Er sitzt seit 2009 für die Partei Die Linke als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Seit 2012 ist er Mitglied des Bundesvorstandes und seit Mai 2014 Bundesschatzmeister seiner Partei. Nord war inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit, setzte sich jedoch als SED-Mitglied für den Bruch mit dem Stalinismus ein. red Extra

Vier europäische Journalistenverbände haben im Europarat eine Beschwerde gegen das neue polnische Mediengesetz eingelegt. Die Beschwerde wurde am Montag in Straßburg auf der Webseite des Europarates zum Schutz der Medien veröffentlicht. Mit dem neuen Gesetz würden die Garantien für die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Rundfunks beseitigt werden, heißt es darin. Die sei ein Verstoß gegen die Grundwerte der Staatenorganisation mit 47 Mitgliedsländern. Nach dem neuen Gesetz soll der Schatzminister und damit die Regierung über die Spitzenposten in den öffentlich-rechtlichen Medien entscheiden (TV vom 4. Januar). dpa

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