Politik wird zum Ereignis

TRIER. Vier Sender, vier Moderatoren, zwei Kandidaten – noch nie wurde in Deutschland ein Fernsehduell der zwei Kanzlerkandidaten in vier Programmen gleichzeitig übertragen. Kann das Duell wahlentscheidend sein? Darüber sprachen wir mit dem Trierer Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Bucher.

Wird das Fernsehduell ein echtes Ereignis oder ist das nur hochstilisierter Hype? Bucher: Beim Fernsehduell vor drei Jahren wurden Einschaltquoten wie bei einem Fußball-WM-Endspiel erreicht. Weil jetzt zum ersten Mal mit Angela Merkel eine Kandidatin im Ring steht, wird das Duell eine entsprechend hohe Aufmerksamkeit haben.

Aber immer weniger interessieren sich doch für Politik. Ist mit der geballten Ladung Politik auf gleich vier Kanälen nicht eher eine Überfrachtung zu befürchten?

Bucher: 90 Minuten Fernsehduell ist für die Zuschauer ziemlich lang. Es ist sicherlich aus Sicht der Wähler nicht so glücklich, dass alles auf einen Abend zusammengeballt wird. Daher wären mehr Duelle sinnvoll gewesen. Die Wähler könnten dadurch besser Vergleiche ziehen. Vor drei Jahren war ja durchaus interessant zu sehen, wie entwickeln sich Schröder und Stoiber von Duell zu Duell. Ich halte es auch strategisch für falsch, dass sich die CDU auf nur ein Duell versteift hat. Das ist nicht im Interesse des Wählers.

Wird die Politik durch solche Quasi-Shows nicht immer mehr zur reinen Unterhaltung?

Bucher: Bei uns ist die Amerikanisierung der Politik, also die Vermarktung der Politik, längst noch nicht so weit wie in den USA. Es ist aber unübersehbar: Das Fernsehen ist für die Politikvermittlung immer noch das wichtigste Medium. Manche reden bereits von einer Fernsehdemokratie. Der ehemalige CDU-Fraktionschef Friedrich Merz hat sich sogar zu der Aussage verstiegen, dass die Talkrunde "Sabine Christiansen" für die Politik wichtiger sei als der Bundestag.

Politik wird also zum Fernsehereignis. Bucher: Im Grunde genommen ist die Logik des Fernsehens mit der Logik der Politik unverträglich. Das zeigt sich schon darin, wie hart von den Fernsehmachern und den Parteiverantwortlichen um die Spielregeln für dieses Duell gestritten worden ist. Politische Entscheidungsfindung soll argumentativ und abwägend sein. Das ist aber nicht die Form, die die größten Unterhaltungswerte verspricht.

Ist das Duell tatsächlich wahlentscheidend?

Bucher: Ein einziges Duell kann keine Wahl entscheiden. Entscheidend für die Wirkungen des Duells wird aber die Nachbereitung in den Medien sein. Da ja bis dato immer noch zahlreiche Wähler unentschlossen sind, werden einige die Sendung aber als Entscheidungshilfe nutzen.

Inwieweit zählen für den Zuschauer Argumente? Wird nicht eher auf die Krawatte von Schröder und die Frisur von Merkel geschaut?

Bucher: Die Frisur von Frau Merkel ist ja schon ein Dauerbrenner. Aber man unterschätzt den Zuschauer, wenn man ihm unterstellt, er achte ausschließlich auf Äußerlichkeiten. "Content is king" gilt auch fürs Fernseh-Duell. Politiker müssen sich und ihre Botschaften präsentieren können. Dabei lassen sich Inhalte oft gar nicht von der Art ihrer Präsentation trennen. Ich glaube aber, dass Journalisten und Politiker dazu neigen, den Show-Effekt zu überschätzen.

Stichwort: Selbstdarsteller. In dem Duell müsste Schröder als anerkannter Medienprofi doch klar im Vorteil sein.

Bucher: Dass die Professionalität von Schröder durchaus kompensierbar ist, hat Stoiber vor drei Jahren im ersten Duell gezeigt. Damals ist es ihm gelungen, zumindest mitzuhalten. Ich halte es für falsch, dass Merkel vor lauter Angst vor der Courage ein zweites Duell verweigert hat. Als Frau und routinierte Politikerin hat sie in einem derart ritualisierten Fernsehformat, bei dem man sich kalkulierbar auf die Fragen einstellen kann und wenig Raum für Spontanität ist, sehr wohl eine Chance.

Wird das Fernsehduell zum festen Bestandteil künftiger Bundestagswahlkämpfe?

Bucher: In einer Mediengesellschaft erwarten die Wähler, dass die Spitzenkandidaten sich dieser Form der Herausforderung stellen. Fernseh-Duelle zwischen den Spitzenkandidaten werden sich deshalb auch bei uns fest im Repertoire von Wahlkämpfen etablieren - wie das in anderen Ländern schon länger der Fall ist.

Mit Hans-Jürgen Bucher sprach unser Redakteur Bernd Wientjes

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