Präsidentenwahl lässt die russische Provinz kalt

Orenburg · Wenn in Russland der nächste Präsident gewählt wird - vermutlich wird er Putin heißen - ist das im Gegensatz zu vielen Menschen in Moskau den Wählern in der russischen Provinz ziemlich egal. Die resignierte Grundstimmung dort ist, dass die Wahlen ohnehin nichts verändern werden - und wenn, dann höchstens etwas zum Schlechteren.

 Lenin an einem Werkseingang in der russischen Provinz. Der Kommunismus ist dort auch mehr als 20 Jahre nach seinem Ende noch präsent.

Lenin an einem Werkseingang in der russischen Provinz. Der Kommunismus ist dort auch mehr als 20 Jahre nach seinem Ende noch präsent.

Foto: Inna Ganschow

Novotroizk, Orsk, Kuwandyk - Industriestädtchen in der Nähe des Gebietszentrums Orenburg, der Stadt mit dem deutschen Namen im südlichen Ural. Malerische Hügel und Flüsse wechseln mit trostlosen Stadtlandschaften: qualmende Werkschornsteine, vereiste Straßen, Lenin-Denkmäler.

Die Stimmung der Bürger ist jedoch gehoben: der Winter neigt sich zum Ende, die traditionelle Winterabschiedswoche "Masleniza" mit Pfannkuchen und Wintergeistverbrennung bringt etwas Abwechslung und der Vaterlandsverteidigertag Ende Februar beschert ein langes Wochenende.

Was die Russen kalt lässt, sind die Präsidentenwahlen am 4. März. Während die Moskauer zu Demonstrationen gehen und die Legitimität der kommenden Wahl in Frage stellen, lebt die russische Provinz weit entfernt von diesen Stimmungen.

Zum einen hat man von Unruhen nichts mitbekommen und wenn doch, dann aus dem Staatssender "Pervyj kanal", der flächendeckend sendet und für die Mehrheit der Russen die einzige Informationsquelle bleibt. Seine Darstellung der Proteste überzeugt die meisten, dass nur die Faulenzer demonstrieren gehen (anständige Menschen haben zu tun) und dass diese Verräter aus dem Ausland finanziert werden, das Russland von innen destabilisieren will.

Wenige sind bereit einzusehen, dass es Menschen gibt, die ihre Unzufriedenheit mit der geltenden Macht auf den Straßen zum Ausdruck bringen. Auch dann ist die Reaktion: "Die Moskauer spinnen doch. Ihnen geht es zu gut, wenn sie sich das leisten können, tagelang zu demonstrieren anstelle zu arbeiten. Was stört sie denn? Staus? Dumawahl-Ergebnisse? Nur ein Nerzmantel im Schrank? Sie sollen mal hierher kommen und probieren, hier zu überleben!"

Auf der geographischen Grenze zwischen Europa und Asien tickt die Uhr anders. Internet ist ein Kommunikationsmittel (Skype und soziale Netzwerke sind Renner), aber keine Informationsquelle. Sites der Opposition oder der alternativen beziehungsweise unabhängigen Medien wie der Radiosender "Echo Moskvy" oder der Fernsehsender "TV Rain" sind schlichtweg unbekannt. Suchmaschinen würden auf Anfrage jede Menge Information bieten, aber wenn die Namen der oppositionellen Politiker im "Pervyj Kanal" gar nicht oder nur im abwertenden Zusammenhang fallen, wer wird sie schon googeln?

Für wen wird die russische Provinz stimmen? Diese Frage wurde unterschiedlichen Menschen gestellt.
Petr S., 66, pensionierter Fabrikarbeiter, Kuwandyk: "Natürlich werde ich für Putin stimmen. Unter ihm ist das Land von den Knien aufgestanden, die Kriminalität ist runtergegangen, die ehemaligen Sowjetrepubliken in Asien haben sich ökonomisch mit uns verbunden. Ihnen geht es viel besser als den baltischen Republiken, die auf die EU gesetzt haben. Putin ist ein bescheidener Mensch, der auf eine öffentliche Fernsehdebatte verzichtet hat. Außer ihm sehe ich keinen Menschen auf der Liste, für den ich stimmen könnte".

Pavel A., 35, studierter Rechtsanwalt, Orsk: "Also für Putin zu stimmen wäre jetzt wirklich dumm. Das Land braucht einen Wechsel, der sich auch in den industriellen Eliten bemerkbar machen würde. Das von Putin erschaffene System bewährt sich nicht: Bodenschätze und Produktionsstätten sind von einer kleinen Personengruppe vereinnahmt, die nicht an die Bevölkerung, sondern an den eigenen Profit denkt. In unserer Stadt sind nur die Arbeitslosigkeit und der Alkoholismus gestiegen, alles andere geht bergab. Ich werde für Prochorow stimmen, weil der Rest (Sjuganow, Schirinowskij und Mironow) politische Leichen sind."

Raissa O., 55, Lehrerin, Kuwandyk: "Für mich gibt es keinen anderen Kandidaten außer Sjuganow. Ich habe immer die Kommunisten gewählt, mein Leben lang. Es ist doch offensichtlich, dass es uns allen in der Sowjetunion besser ging als jetzt. Unter den Kommunisten war das Land groß, einig und stark. Die Welt hat uns respektiert und wir waren glücklich, auch wenn es uns finanziell nicht so gut ging wie jetzt. Andere Dinge waren wichtiger: Bruderschaft, Internationalismus, Ideale der Gleichberechtigung. Ich möchte, dass meine Enkel das auch erfahren, daher - Sjuganow".

Konstantin D., 33, Militärarzt, Orenburg: "Auf der Kandidatenliste sehe ich einfach keinen Kandidaten, der mich ansprechen würde. Es ist mir klar, dass ich als Staatsangestellter für den Erhalt der geltenden Staatsmacht stimmen soll. Sie hat auch alles dafür getan, um uns zu motivieren: mein Gehalt hat sich seit Beginn des Jahres genauso wie bei allen Militärs und Polizeieinheiten fast verdoppelt. Putins Regime spricht mich aber nicht an: Korruption ohne Ende, ein Riesenstaatsapparat, dem Staat dienende Gerichte. Da Mironow, Schirinowskij und Prochorow Putins Marionetten sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als für Sjuganow zu stimmen, sonst wird meine Stimme zugunsten von Putin geklaut, da bin ich mir sicher".

Alexej O., 22, Student, Novotroizk: "Ich finde das Ganze doof, die ganze Wahlgeschichte. Von uns hängt nichts ab, egal, für wen wir stimmen. Auch wenn während der Wahlen die Webcams filmen und Wahlbeobachter arbeiten, die Zahlen werden woanders gefälscht, nicht beim Stimmzetteleinwurf. Ich habe es mitbekommen, dass es nach den Duma-Wahlen in Moskau Unruhen gab, aber das ist auch lächerlich, weil auf die Menschen auf den Straßen sowieso nicht gehört wird. Die Staatsgewalt hat vor ihnen keine Angst. Ich weiß nicht, für wen ich stimmen werde, weiß auch nicht, ob ich überhaupt stimmen gehe. Nützt sowieso nichts".

Ljudmila S., 49, Hausfrau, Orsk: "Ich gehe für Putin stimmen. Erstens haben wir ihn in Aktion gesehen und wissen, woran wir sind. Er ist ein Mensch, der weiß, was zu tun ist. Das ist die starke Hand, die wir brauchen. Zweitens, ein neuer Mensch als Präsident würde heißen, dass er eigene Mannschaft mitbringt und sie nur daran denken werden, sich aus dem Staatsbudget zu bereichern. Putins Leute haben es zumindest in dieser Hinsicht hinter sich. Drittens ist es so, dass jeder Personenwechsel an der Macht in Russland immer Veränderungen zum Schlimmen bedeutet: Gorbatschow hat unser Land auseinandergerissen, Jelzin hat zugelassen, dass das komplette Staatseigentum in den Privatbesitz von wenigen Personen überging, nur unter Putin wurden diese Prozesse angehalten. Ich weiß, dass so viele Jahre an der Macht nach Alleinherrschertum aussehen, aber wer sagt denn, dass das falsch ist? Das Volk lebt nach seinen eigenen Regeln, die Staatsmacht nach ihren. Sie nähert sich aus dem Staatsbudget, wir überleben aus unseren, oft nicht deklarierten, Einnahmen. Wir wollen keinen Wechsel, wir haben uns eben an diese Verhältnisse angepasst und werden dafür stimmen, dass diese Stabilität erhalten bleibt".

Ob Putin also in der ersten oder in der zweiten Runde siegt, ist für die meisten irrelevant. Relevant ist, dass wer auch immer und für wieviel Präsidentenperioden auch immer an die Macht kommt, vom Volk in der russischen Provinz als etwas Abstraktes angesehen wird. Vielleicht wird er für die Moskauer konkret, aber im südlichen Ural bleibt alles wie davor: vereiste Straßen im Winter, bunt qualmende Werkschornsteine im Sommer und die Lenin-Denkmäle das ganze Jahr durch.

Hintergrund



Orenburg, Gebietszentrum: 550.000 Einwohner (29. Platz unter den russischen Städten), 1468 km östlich von Moskau. Die Stadt ist als alte Militärfestung bekannt, die in Puschkins "Tochter des Hauptmanns" beschrieben ist. Der Baueraufstand unter Pugatschow (1773) hat die Festung für mehrere Monate in seiner Gewalt gehalten. In der Stadt gibt es eine Universität, eine Medizinakademie, mehrere Theater und Museen. Ökonomisch ist die Stadt von der Gasgewinnungs- und verarbeitungsindustrie, Maschinenbau und Metallverarbeitung geprägt.

Novotroizk: 100.000 Einwohner, 270 km von Orenburg, an der Grenze mit Kasachstan. Die Stadt hat um 20 Fabriken und Werke, wo etwa 30.000 Menschen arbeiten. Das größte Werk ist metallurgisches Kombinat "Uralskaja Stal´" (90% der Produktion der Stadt kommt von ihm). Das Werk ist eine der acht größten Eisenindustrie-Produktionsstätten. Andere Schornsteine gehören dem Zement-Werk. 2007 hat das amerikanschie Blacksmith Institute die Liste der am meisten verschmutzten Städte der Welt veröffentlicht, wo Novotroizk ebenso drauf ist.

Orsk: 240.000 Einwohner, liegt in 14 km von Novotroizk und schmelzt praktisch mit ihm zusammen. 250 km von Orenburg, im 18. Jh. als eine Militärfestung gegründet, die Stadt liegt zugleich in Europa und Asien, weil sie durch den Flüsse Ural und Or´ geteilt wird. Das größte Werk in Nichteisenmetallurgie ist "JuschUralNikel´", ansonsten sind auch Maschinenbau und Erdölverarbeitung vertreten. Die Werke sind in der Innenstadt platziert und verschmutzen vier Wohnviertel durch Kupfer, Kalzium und Schwefel-Dioxid.

Kuwandyk: 28.000 Einwohner, 190 km von Orenburg Richtung Baschkortostan. Die größte Produktionsstätte ist das Kryolith-Werk, das in der Sowjetunion in der Produktionskette der Alluminiumkarosserie der Flugzeuge eingebunden war. Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist der Flugzeugbau zurückgegangen und das Werk musste die Produktion drastisch reduzieren. Die Folge ist, dass Männer die Stadt auf der Suche nach der Arbeit verlassen mussten und der größte Bevölkerungsanteil Fraun, Alte und Kinder sind.

Inna Ganschow unterrichtet Russische Medienkunde an der Universität Trier. 2012 schreibt sie ihre Doktorarbeit über Medien in der zeitgenössischen russischen Literatur

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort