Prinzip Abwarten

Wenn sich heute Mittag US-Präsident George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder zu einem halbstündigen Meinungsaustausch treffen, so passt dieser Termin beiden Politikern eigentlich gar nicht ins Konzept.

Wenn sich heute Mittag US-Präsident George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder zu einem halbstündigen Meinungsaustausch treffen, so passt dieser Termin beiden Politikern eigentlich gar nicht ins Konzept. Für den US-Präsidenten hat derzeit das Thema Irak absolute Priorität, wobei die Nation mit Spannung morgen eine Rede erwartet, mit der – so hoffen viele – ein mittlerweile auch von der eigenen Partei bedrängter Bush endlich Wege aus der blutigen Misere aufzeigen könnte. Und Schröder? Als Bush beim Mainz-Besuch im Februar die Gegeneinladung aussprach, nahm man natürlich an, weil es sich auf diplomatischem Parkett nicht anders gehört. Doch schon morgen Abend werden Schröder und sein Tross nach einem drastisch kastrierten Programm wieder zurück eilen, um sich der Vertrauensfrage im Bundestag und den Neuwahlen zu widmen. Außer Spesen nichts gewesen? Der gegenüber Medienvertretern zur Schau gestellte Optimismus innerhalb der deutschen Delegation in Sachen UN-Reform muss dabei fast schon Mitleid erzeugen. Welchen Grund gäbe es für das Weiße Haus, ausgerechnet jetzt und ausgerechnet gegenüber Schröder hier die Zurückhaltung in Sachen einer großen Erweiterung des Sicherheitsrates – und somit besserer Chancen der Deutschen auf einen ständigen Sitz – aufzugeben, wenn sich Joschka Fischer bereits Anfang des Monats dazu in Washington eine klare Abfuhr holte? Wenig hilfreich war es auch, dass Schröder seine Parteigenossen bereits dazu aufgefordert hat, im anstehenden Wahlkampf an die Haltung der Bundesregierung in der Irak-Frage zu erinnern. Denn die eigentliche, ganz persönliche Verstimmung zwischen Bush und Schröder nährt sich aus einer einzigen Quelle: Der dann später gebrochenen Zusage des Bundeskanzlers an den US-Präsidenten, die USA könnten bei harten Maßnahmen gegenüber Saddam Hussein mit der vollen Unterstützung der Deutschen rechnen. Bush vergesse so etwas nicht, heißt es immer wieder in seiner Umgebung. Gerade deshalb kann davon ausgegangen werden, dass George W. Bush Gerhard Schröder heute nicht mit etwas belohnen wird, das der Wählerstimmung in Deutschland folgend als "Abschiedsgeschenk" gelten würde. Nein, in Washington gilt Abwarten als Gebot der Stunde – in der Hoffnung, dass sich im Herbst dann mit Angela Merkel eine deutsche Regierungschefin am Potomac-Fluss einfindet, mit der sich eine Themen-Vertiefung dann tatsächlich auch lohnt. nachrichten.red@volksfreund.de

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