Protest gegen den "Rentenklau"

BERLIN. Rund 2000 Gewerkschafter haben gestern vor dem Berliner Regierungsviertel lautstark gegen den "Rentenklau" protestiert. Viele trugen einen großen Button mit einer durchgestrichenen "67" auf den Regenjacken. Der "DGB-Aktionstag" bildete die schrille Begleitmusik zur öffentlichen Expertenanhörung des Bundestags-Sozialausschusses über das geplante Gesetz zur langfristigen Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre.

DGB-Chef Michael Sommer war voller Empörung: Angesichts von 1,2 Millionen Arbeitslosen zwischen 55 und 64 sei die geplante Rente mit 67 "schlicht Unsinn". Normale Menschen, die keine Assistenten hätten, welche für sie arbeiteten, "sind mit 65 fertig", rief der Gewerkschaftschef. Von seinen Anhängern erhielt er dafür tosenden Beifall. Auch der DGB stand auf der Einladungsliste. Anders als beim Protest auf der Straße fand Sommers Standpunkt dort allerdings kaum Anklang. Nach Überzeugung der Rentenversicherer und Ökonomen führt schon aus demografischen Gründen kein Weg an einer längeren Lebensarbeitszeit vorbei. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Altersrente ab 2012 bis zum Jahr 2029 in Monatsschritten von 65 auf 67 anzuheben. Bis 1963 Geborene profitieren von diesem Übergang. Bei allen Jahrgängen ab 1964 kommt die Rente mit 67 voll zum Tragen. "Diese Anhebung ist ein Muss. Das kann jeder mit den vier Grundrechenarten ausrechnen", meinte der Kölner Wirtschaftsprofessor, Eckart Bomsdorf. Durch die immer längere Lebenserwartung bleibe so die Bezugsdauer der Rente langfristig nahezu konstant. Nach Einschätzung des Rentenversicherungsverbandes lassen sich die Finanzprobleme auch nicht durch eine von den Gewerkschaften geforderte Ausweitung der gesetzlichen Rentenversicherung auf alle Erwerbstätigen lösen.Einhellige Kritik am geplanten "Bonbon"

So habe der Kreis der Beamten schon heute eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung, was langfristig zu einer höheren Belastung der Rentenkasse führe. Eine weitere Erhöhung des Bundeszuschusses sei auch keine Alternative. Neben den Beiträgen fließen bereits heute jährlich rund 80 Milliarden Euro aus Steuermitteln in die Rentenkasse. Der Finanzwissenschaftler und Regierungsberater, Bert Rürup, verwies auf den wirtschaftlichen Aspekt der Rente mit 67. Obwohl sich die Bevölkerungszahl in den nächsten drei Jahrzehnten kaum verändern werde, sei der Anteil der Erwerbstätigen um etwa 15 Prozent rückläufig. Auch wenn diese Erwerbstätigen dann produktiver würden, könne man auf die Reform nicht verzichten, weil absehbar höhere Löhne auch höhere Renten nach sich zögen. Auf einhellige Kritik stieß eine Gesetzesregelung, die eigentlich als politisches Bonbon gedacht war. Danach sollen Personen, die mindestens 45 Jahre lang Pflichtbeiträge aus einer Beschäftigung, aber auch aus Pflege- und Kindererziehungszeiten nachweisen können, weiter mit 65 in Rente gehen dürfen. Die Rentenversicherer beklagten, dass das Einsparpotenzial bei der Rente mit 67 dadurch "in erheblichem Maße" gemindert werde. Der Handwerker-Zentralverband (ZDH) bemängelte, dass gerade Versicherte mit besonders schwerer Arbeit kaum auf 45 Versicherungsjahre kämen. So gingen zum Beispiel Dachdecker gegenwärtig im Schnitt mit 58 in Rente, Bauarbeiter mit etwa 60. Auch der DGB störte sich an dem Vorhaben. Zum einen seien Personen mit lückenhaften Erwerbsbiografien benachteiligt, weil Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht unter die 45er-Regelung fallen. Und zum anderen habe der Plan eine "geschlechtsspezifische Schlagseite", denn Frauen kämen auch trotz Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten weitaus seltener auf 45 Versicherungsjahre als Männer. Nach Angaben der Rentenversicherer liegt der Männeranteil bei knapp 30 Prozent, der Frauenanteil aber nur bei vier Prozent. Auch deshalb will der DGB im Kampf gegen die Reform nicht locker lassen. "Wir bringen das Thema bis in den Bundestagswahlkampf 2009", drohte Sommer. Das Gesetz selbst soll freilich schon Ende nächster Woche im Bundestag verabschiedet werden.

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