Radikal-Operation für die Bundeswehr

BERLIN. Die Bundeswehr steht vor dem tief greifendsten Umbau ihrer Geschichte. Gestern wurde ein Papier ihres Generalinspekteurs, Wolfgang Schneiderhan, bekannt, das den endgültigen Abschied von der klassischen Landesverteidigung vorsieht.

Alles wird anders bei der Bundeswehr: Statt einer Aufteilung in Heer, Luftwaffe und Marine wird künftig nach Einsatz-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräften unterschieden. Vor dem Hintergrund wachsender internationaler Anforderungen sowie knapper Finanzmittel hatte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) seinen Generalinspekteur vor zwei Monaten beauftragt, Struktur und Ausrüstungsplanung der Truppe zu überprüfen. Zu den Vorgaben gehörte auch eine nochmalige Reduzierung der Streitkräfte von 285 000 auf 250 000 Mann. Rotstift geht vor allem zu Lasten des Heeres

Nach den Plänen Schneiderhans sollen die Einsatzkräfte mit 35 000 Soldaten zum wichtigsten Instrument der Bundeswehr werden. Der Verbund aus Land-, Luft- und Seestreitkräften ist für friedenserzwingende Kampfeinsätze, aber auch für Evakuierungen von Zivilpersonen "an jedem denkbaren Einsatzort der Welt" (Struck) ausgelegt. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen zudem die Nato-Bündnisverpflichtungen. Die Stabilisierungskräfte umfassen 70 000 Mann. Sie sollen für Operationen "niedriger und mittlerer Intensität", aber auf "lange Dauer" einsetzbar sein. Für die auch mit Panzern ausgerüsteten Teilstreitkräfte geht es zum Beispiel um die Überwachung von Waffenstillstandsvereinbarungen oder die Durchsetzung von Embargomaßnahmen. Ähnliche Aufgaben erfüllt die Bundeswehr bereits in Afghanistan und auf dem Balkan. Der dritte Bereich, die Unterstützungskräfte mit 145 000 Mann, ist für das Sanitätswesen, die Logistik und den "Gesamtbetrieb" im Inland ausgerüstet. Das Gesamtkonzept soll eine Reduzierung der Rüstungsausgaben von knapp 26 Milliarden Euro in den Jahren 2005 bis 2015 ermöglichen. Der Rotstift geht vor allem zu Lasten des Heeres. Hier werden allein rund 15,2 Milliarden Euro gestrichen. Verteidigungsminister Struck will im Januar über den Plan Schneiderhans entscheiden. Politisch dürfte sich der Protest in Grenzen halten. Sowohl die Opposition wie auch der Bundeswehrverband begrüßen im Grundsatz die radikale Reform. "Das ist eine vernünftige Antwort auf die veränderte sicherheitspolitische Lage", sagte der CDU-Wehrexperte Helmut Rauber unserer Zeitung. Allerdings warnte er davor, "das primäre Ziel der Landesverteidigung aus den Augen zu verlieren". Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Schmidt, zweifelt, ob sich die neue Struktur "wegen der massiven Einsparungen tatsächlich verwirklichen lässt". Bundeswehrverbandschef Bernhard Gertz charakterisierte das Konzept gegenüber unserem Blatt als "einzig gangbare Option der Bundeswehr, um sich bei knappen Ressourcen auf die internationalen Aufgaben einzustellen". Die Kehrseite der Medaille sei "der weitgehende Verzicht auf die klassische Landesverteidigung". Zugleich stellte er klar, dass die geplante Struktur von Schneiderhan auch ohne Wehrpflicht funktioniere. "Das Konzept muss deshalb nicht neu entwickelt werden." Militärexperten sprechen hier von einer "Entmaschung". Das heißt, Wehrpflichtige, die bislang in allen Bereichen der Truppe Dienst tun, werden in Blöcken zusammengefasst. Eine Streichung soll die Schlagkraft der Truppe nicht beeinflussen. In dem Schneiderhan-Papier findet sich zwar ein ausdrückliches Bekenntnis zur Wehrpflicht. Der Verteidigungsminister hatte aber auch die Option einer Berufsarmee vorgegeben, um für eine eventuelle Änderung der Wehrverfassung gerüstet zu sein. Schon jetzt steht die Wehrgerechtigkeit immer mehr in Frage. Nach Angaben von Gertz gibt es in diesem Jahr 65 000 Grundwehrdienstleistende. Aus Kostengründen werden es 2004 nur noch 50 000 sein. Eine nochmalige Reduzierung der Truppe um 35 000 ist laut Gertz mit der Schließung von bis zu 140 Bundeswehrstandorten verbunden.

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