Rede vor dem Kongress: US-Republikaner bejubeln Gastredner Netanjahu

Washington · Schon die Ankündigung der Rede war ein Affront gegen Präsident Obama. Doch bei seinem eigentlichen Auftritt im US-Kongress legt Israels Ministerpräsident Netanjahu mit starken Vorwürfen nach: Das Weiße Haus "ebnet den iranischen Weg zur Bombe".

Es ist eine stockdüstere Vision des Nahen Ostens, die Benjamin Netanjahu da zeichnet vor dem Sternenbanner, das riesig überm Rednerpult des Repräsentantenhauses hängt. Ein nuklear bewaffneter Iran, wirtschaftlich erstarkt, befreit aus der Zwangsjacke der Sanktionen, werde ein Nachbarland nach dem anderen schlucken, Terroristen rund um den Globus finanzieren, ein atomares Wettrüsten auslösen. "Dieser Deal wird kein Abschied von Waffen sein, es wird ein Abschied von der Waffenkontrolle sein."

Der israelische Premier spricht zu beiden Kammern des Parlaments, zum dritten Mal nach 1996 und 2011. Eingeladen von den Republikanern, bejubelt von den Republikanern, legt er dar, warum er Barack Obamas Iran-Diplomatie für einen gefährlichen Irrweg hält. Mancher behaupte, mit einem neuen Präsidenten und einem neuen Außenminister, mit Hassan Rohani und Javad Zarif, biete sich eine Chance für Wandel und Mäßigung in Teheran. Der Glaube sei naiv, das iranische Regime so radikal wie immer, die Vermählung des militanten Islam mit Atomwaffen die größte Gefahr für die Welt. Der Deal, wie ihn Amerikaner, Briten, Franzosen und Deutsche, Russen und Chinesen mit Teheran anpeilten, versperre den Weg zum Kernwaffenarsenal nicht, vielmehr ebne er diesen Weg.

Die nukleare Infrastruktur des Landes bleibe weitgehend intakt, argumentiert Netanjahu. Selbst wenn die "Break-Out-Spanne" nach amerikanischer Einschätzung künftig zwölf Monate betrage, die Zeit, die Iran brauche, um so viel waffenfähiges Uran zu produzieren, dass es für eine Bombe reicht - es sei eine zu kurze Zeitspanne. Zudem könnten die Iraner Abmachungen verletzen, die Inspektoren der Atomenergiebehörde könnten die Verstöße zwar dokumentieren, sie aber nicht stoppen: Als Nordkorea zur Nuklearmacht aufstieg, sei genau dies geschehen. Und selbst wenn Teheran zehn Jahre lang, für die Gültigkeitsdauer des Abkommens, wie sie Obama vorschwebt, alles einhalte, das iranische System werde sich in zehn Jahren nicht ändern. "Eine Dekade ist nur ein Wimpernschlag im Leben einer Nation".

"Nun, das ist ein schlechter Deal, es ist ein sehr schlechter Deal. Ohne ihn sind wir besser dran", fasst Netanjahu seine Sicht der Dinge zusammen. Sollten die iranischen Emissäre aus den Verhandlungen aussteigen, auf persischen Teppichbasaren passiere dergleichen ja häufig, dann möge man sie ziehen lassen. Sanktionen dürfe man nur lockern, wenn das Regime sein Verhalten ändere, die "Aggression" gegen seine Nachbarn stoppe, den Terrorismus nicht länger unterstütze und aufhöre, Israel zu bedrohen. Bisweilen bemüht sich Netanjahu, wie Winston Churchill zu klingen, der im Europa der dreißiger Jahre schon vor Sturmwolken warnte, als andere noch glaubten, Hitler beschwichtigen zu können.

Das Churchill-Motiv, die Kassandra allein auf weiter Flur, umgeben von Appeasement-Politikern: Auch John Boehner, der republikanische Speaker, hatte es am Morgen beschworen, indem er dem Gast eine Büste des großen Briten überreichte. Der Konservative, der den seelenverwandten Likud-Politiker einlud, um Front gegen Obama zu machen. Bei den Demokraten wiederum brachte allein der protokollarische Affront, den Präsidenten dabei zu übergehen, die Gemüter derart in Wallung, dass rund 50 von ihnen vorab wissen ließen, sie würden dem Auftritt Netanjahus fernbleiben. Darunter sind afroamerikanische Politiker, die schon in der Art, wie der Besuch eingefädelt wurde, eine Missachtung ihres Staatschefs sehen. Darunter sind jüdische Abgeordnete, deren Meinung Steve Cohen, ein Veteran aus Memphis, am prägnantesten auf den Punkt brachte: "Netanjahu ist so wenig Israel, wie George W. Bush Amerika war".

Und das Weiße Haus? Es reagiert, wie es immer reagiert hat, seit der heikle Trip des schwierigen Verbündeten angekündigt wurde. Obama ließ einen Sprecher erklären, er werde dem Redner nicht zuhören, nicht einmal am Fernseher. Er sei beschäftigt, er berate mit europäischen Partnern per Video über Wege, die Krise um die Ukraine zu entschärfen. Demonstrativer lässt sich Verstimmung kaum zum Ausdruck bringen. Jenseits der kleinen Nadelstiche macht das Oval Office kein Hehl daraus, wie wenig es von Netanjahus Rhetorik hält. "Keine einzige neue Idee, kein konkreter Vorschlag", vertraut ein Berater, freilich anonym, einem CNN-Reporter an. "Nur Worte, keine realistische Alternative".
Meinung

Vertrauenskrise
Nicht nur, dass Benjamin Netanjahu die Bühne des amerikanischen Kongresses nutzt, um zwei Wochen vor der Wahl im eigenen Land eine Wahlkampfrede zu halten. Die Republikaner verbünden sich mit ihm, indem sie ihm demonstrativ den roten Teppich ausrollen. Damit pfeifen sie auf den alten Grundsatz, wonach innenpolitische Differenzen an den Ufern von Atlantik und Pazifik haltzumachen haben - oder anders gesagt, dass Amerika in der Welt stets mit einer Stimme spricht, egal wie hart sich die Streithähne in Washington befehden. Da sich Netanjahu der Republikaner gezielt bedient, um Front gegen die Iran-Diplomatie Barack Obamas zu machen, muss er sich über das Echo nicht wundern. Der US-Präsident zeigt ihm so konsequent die kalte Schulter, als wäre er eine Persona non grata. Eisiger geht es kaum noch. Israels Premier spricht der Regierung seiner Schutzmacht die Fähigkeit ab, belastbare Lösungen zu finden. Mehr noch, er durchkreuzt die Diplomatie des Verbündeten. Das schafft einen Präzedenzfall, wie es ihn in der fast 70-jährigen Geschichte amerikanisch-israelischer Beziehungen noch nie gab. Innenpolitisch mag Netanjahu damit vielleicht punkten. Auf der Weltbühne ist es ein Eigentor. nachrichten.red@volksfreund.de

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