Reden über das Sterben

Mainz · Der rheinland-pfälzische Landtag hat beim Thema Sterbehilfe keine Gesetzgebungskompetenz. Doch die Abgeordneten suchen Orientierung. Sie tauschen in einer bemerkenswerten Debatte Argumente und Einstellungen aus.

Mainz. Die Mittagspause ist vor-über, es geht weiter im Parlament. Gewöhnlich wären die Reihen um diese Zeit, es ist 15 Uhr, halb leer. Diesmal nicht. Präsident Joachim Mertes leitet eine Diskussion ein, wie sie so noch nie zuvor geführt wurde. Die Politiker reden fernab jeder Parteizugehörigkeit. Über das Sterben.
Diszipliniertes Zuhören


Diese Orientierungsdebatte ist anders. Die Abgeordneten wühlen nicht in Akten. Sie stöbern nicht im Handy. Sie blättern nicht in der Zeitung. Es gibt keine aufgeregten, witzigen oder zornigen Zwischenrufe. Es wird nicht getuschelt. Man hört einfach nur diszipliniert dem jeweiligen Redner zu. Anders als eingangs von ihm befürchtet muss Landtagspräsident Joachim Mertes auch niemanden abklingeln, weil seine Redezeit abgelaufen ist.
Morgens hat sich der gebürtige Trierer im Foyer des Parlaments noch kräftig geärgert. Weil die CDU-Opposition trotz vorheriger Bitten im Ältestenrat, davon abzusehen, eine mündliche Aussprache zu einer Fragerunde beantragt hat, wodurch sich die Sterbehilfe-Debatte zeitlich nach hinten verschiebt. Mertes rächt sich auf seine Weise: Mittagspause erst ab 14 Uhr, verfügt er. "Ich gehe jetzt essen", sagt der Sozialdemokrat um 12 Uhr grinsend.
Als die Debatte beginnt, ist es mit allen Animositäten vorbei. Artig applaudieren Sozialdemokraten und Grüne den Christdemokraten und umgekehrt. Polemische Angriffe gegen die Landesregierung oder die anderen Fraktionen bleiben aus. Die Beiträge sind ernsthaft, nachdenklich, sachlich.
Die niveauvolle Debattenkultur fällt der Klasse 9f der Clara-Viebig-Realschule plus Wittlich auf der Besuchertribüne auf. Die Schüler und ihre Lehrer Helma Thelen-Oberbillig und Michael Staab werden sich später mit den regionalen Abgeordneten Elfriede Meurer (CDU), Bettina Brück (SPD) und Jutta Blatzheim-Roe-gler (Grüne) austauschen. Sollen Ärzte todkranken Menschen beim Suizid behilflich sein dürfen, falls diese es wünschen? Können Menschen, die unter Demenz oder anderen schweren Krankheiten leiden, ihren Willen überhaupt äußern? Was ist mit gewerblichen Sterbehilfevereinen? Solche Fragen spielen in der dreistündigen Debatte eine Rolle.

Politische Positionen


Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) positioniert sich eindeutig: "Auch ich lehne alle Formen der gewerblichen und organisierten Beihilfe zum Suizid ab."
CDU-Chefin Julia Klöckner meint: "Menschen brauchen eine Hand beim Sterben - aber keine pro-aktive."
Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler lässt dagegen Sympathie dafür erkennen, dass Ärzte dem Wunsch des Menschen nach seinem Tod folgen dürfen müssten. Seine Kollegin Katharina Raue sagt: "Die Würde des Menschen umfasst auch das Recht, sterben zu wollen."
"Großen Respekt vor individuellen Entscheidungen" bekundet SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer. Die Mehrheit der Bevölkerung sei für eine Liberalisierung der Sterbehilfe.
Anke Beilstein (CDU) bekundet ihre Sorge: "Wenn etwas legalisiert wird, werden Schleusen geöffnet."
Auch Landtagspräsident Mertes tritt, was selten vorkommt, ans Rednerpult. "Du kommst auf die Erde, um von ihr zu gehen", erklärt er. Die Aufgabe laute, besser vorzubereiten, wenn es ans Sterben gehe. "Wir dürfen den Tod nicht dämonisieren", sagt er.
In zwei Dingen sind sich fast alle Abgeordneten einig: Die Hospiz- und Palliativversorgung im Land muss ausgebaut werden. Und es darf keine organisierte gewerbliche Sterbehilfe geben.

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