Regierung schönt Armutsbericht

Berlin · Der geplante Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist innerhalb der großen Koalition offenbar stark umstritten. Brisante Formulierungen zum Einfluss Vermögender auf politische Entscheidungen wurden zwischenzeitlich entweder entschärft oder ganz gestrichen.

Berlin. Bereits im Oktober war eine erste, vom Bundesarbeitsministerium erstellte Fassung des geplanten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung bekanntgeworden. Sie ging, wie allgemein üblich, zwecks weiterer Abstimmung an das Kanzleramt und die anderen zuständigen Ressorts. Zu Beginn dieser Woche nun wurde die Vorlage zur Begutachtung an die Wirtschafts- und Sozialverbände weitergeleitet. Auch das ist üblich.Fehlende Sätze



Erstaunlich jedoch, dass sich die zwischenzeitlich überarbeitete Fassung zum Teil fundamental vom ursprünglichen Text unterscheidet. Darin war zum Beispiel noch unter dem Punkt IV.5.4 der "Einfluss von Interessenvertretungen und Lobbyarbeit" auf die Gesellschaft beleuchtet worden. In der aktuellen Version ist das Kapitel gestrichen. So fehlt dann auch der Satz: "Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikänderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikänderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird."
Ebenfalls gestrichen wurde die Passage: Personen mit geringerem Einkommen verzichteten auf politische Partizipation, "weil sie die Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert". Getilgt wurde zudem der Passus: Es bestehe "eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen".
Grundlage für solche Bewertungen war eine Studie, die das Arbeitsministerium in Auftrag gegeben hatte. Dabei ging es auch um die politischen Präferenzen verschiedener Bevölkerungsschichten. In der Ursprungsfassung hieß es an dieser Stelle noch, "dass die Meinungen je nach Einkommen erheblich divergierten". Im aktuellen Text ist nur mehr eine abgeschwächte Variante enthalten: "Die Einstellungen der Befragten unterscheiden sich je nach Einkommen erkennbar, aber nicht signifikant." Überdies wird nun die Aussagekraft der Studie relativiert: Sie liefere "keine Erkenntnisse über Wirkmechanismen und weitere Einflussfaktoren". Daher bestehe "weiterer Forschungsbedarf". Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, zeigte sich empört über die Änderungen: "Die Interessen der Armen werden bei politischen Entscheidungen deutlich geringer gewichtet als die der Reichen. Diesen brisanten Befund ihrer eigenen Studie will die Bundesregierung offenbar unter den Tisch fallen lassen", sagte Pothmer unserer Redaktion. Das gehe schon "in Richtung Zensur". SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach merkte an, die gestrichenen Passagen würden nur beschreiben, "was wir alle wissen".
Ein regierungsoffizieller Armuts- und Reichtumsbericht wird bereits seit dem Jahr 2001 regelmäßig erstellt. Er enthält auch Einschätzungen zur Lohnentwicklung und zur Lage auf dem Arbeitsmarkt.
Bereits in der Vergangenheit kam es dabei zu Konflikten über die politische Deutungshoheit. So hatte sich die FDP in Zeiten der schwarz-gelben Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel zum Beispiel gegen Passagen zur ungleichen Vermögenverteilung in Deutschland gestellt. Sie tauchten in der Endfassung nicht mehr auf.
Der mittlerweile fünfte Armuts- und Reichtumsbericht soll im Frühjahr 2017 vom Bundeskabinett beschlossen werden. Bis dahin dürfte noch mancher Streit über den Text ins Land gehen.

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