Reiche noch reicher

BERLIN. Als die SPD-Bundestagsfraktion vor einigen Wochen ihre Konferenz über den "Reichtum in Deutschland" terminierte, war die Brisanz des Themas noch nicht absehbar. Dann kam die spektakuläre Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und mit ihr eine wilde Diskussion über das vermeintliche Phänomen der Unterschicht. Gestern ging die Debatte weiter.

Die Veranstalter des gestrigen Expertentreffens versuchten den Eindruck zu zerstreuen, dass sich die Sozialdemokraten in ihrer Beliebigkeit nun wieder der Oberschicht widmen würden. Wer über Armut rede, müsse auch über Reichtum sprechen, meinte der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft "Verteilungsgerechtigkeit", Rolf Stöckel. Von diesem untrennbaren Zusammenhang kündet schon der in rot-grünen Regierungszeiten eingeführte "Armuts- und Reichtumsbericht". In seiner jüngsten Ausgabe lässt sich nachlesen, dass die unteren 50 Prozent der Privathaushalte nur über knapp vier Prozent des gesamten Nettovermögens verfügen, während es sich auf das oberste Zehntel der Haushalte zu rund 47 Prozent konzentriert - 1993 waren es noch 44,7 Prozent. Doch was heißt Reichtum? Die schillernde Unternehmerin Gloria von Thurn und Taxis hat einmal gesagt: "Wer wirklich weiß, wieviel er hat, ist nicht wirklich reich." Der Politikwissenschaftler Ernst-Ulrich Huster von der Evangelischen Fachhochschule Bochum vertrat gestern die These, dass ein abhängig Beschäftigter sein Rentnerdasein praktisch vom nicht ausbezahlten Lohn bestreiten müsse. Dagegen könne der besonders gut Betuchte auf das zurückgreifen, was ihm der Fiskus übrig gelassen habe. Und das war gerade in der Regierungszeit von SPD und Grünen offenbar einen ganze Menge. In Deutschland leben derzeit 55 Milliardäre. 14 von ihnen gehören sogar zu den 100 reichsten Menschen weltweit. "Diese Leute haben von der rot-grünen Steuerpolitik erheblich profitiert", lautete das für die Genossen wenig schmeichelhafte Fazit des Wirtschaftsexperten Dieter Eißel. Der Professor an der Universität Gießen rechnete vor, dass ein lediger Millionär dank rot-grüner Gesetze zwischen 1998 und 2005 über 100 000 Euro an Steuern sparen konnte. Inzwischen alimentierten hauptsächlich die Lohnsteuerzahler den deutschen Staat. Während die tatsächlichen Steuern auf Kapitaleinkünfte hier zu Lande knapp 22 Prozent betrügen, machten sie etwa in Dänemark fast 43 Prozent aus. Trotzdem sind die wirtschaftlichen Kennziffern dort zum Teil wesentlich günstiger. Auch die Erben würden "überdurchschnittlich geschont", bemängelte Eißel. So seien die Substanzsteuern in Deutschland nur halb so hoch wie im Durchschnitt der OECD-Staaten. Dabei gebe es "keinen empirischen Zusammenhang" zwischen Steuererleichterungen und steigender Investitionstätigkeit. Zumindest in Deutschland waren die betrieblichen Investitionen nach den rot-grünen Steuersenkungen sogar deutlich zurückgegangen. Davon ist im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht allerdings keine Rede. Stattdessen wird auf die mit der damaligen Steuerreform verbundene Streichung von Ausnahmeregelungen verwiesen, wodurch "Bezieher höherer Einkommen ihren Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Leistungen erbringen". Und die Lehre aus der gestrigen Veranstaltung? "Unser Ziel muss sein, hohe Vermögen angemessen zu besteuern", meinte Fraktionsvize Nicolette Kressl.

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