Reif für den Urlaub

Berlin. Angesprochen auf das momentane Miteinander in der großen Koalition, gelangte in dieser Woche ein führender Christdemokrat zu folgender Erkenntnis: "Man sitzt sich gegenüber wie früher Nato und Warschauer Pakt."

Eiszeit, kalter Krieg zwischen Union und SPD? Das zu behaupten wäre wohl übertrieben. Der Start in die parlamentarische Sommerpause kann aber für die große Koalition kaum schlechter sein. Nur selten zuvor ist die Politik einer Regierung medial so in Grund und Boden gestampft worden wie die der Regierung Merkel. Ob Haushalt, Antidiskriminierung, Föderalismus und als vorläufiger Höhepunkt Gesundheit - die Koalitionäre bezogen in den vergangenen Wochen Prügel oder verprügelten sich selber. Aus Enttäuschung, aus Ernüchterung, aus Opposition oder aus Taktik. Das spiegelt sich inzwischen auch in den Umfragen wider: Nur noch 24 Prozent der Bundesbürger sind mit der Arbeit der großen Koalition zufrieden, wie der ARD-Deutschlandtrend für Juli ergab. Das ist rot-grünes Niveau im Endstadium. Zeit, dass mal wieder ein bisschen Ruhe hineinkommt in das Bündnis, Zeit für Ferien: "Wichtig ist, dass alle jetzt möglichst schnell in den Urlaub fahren. Dann kann keiner mehr über den anderen herfallen", hofft CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer auf besinnliche Tage und die Rückkehr von Vernunft: "Es gibt keine Sieger und Besiegten. Die Koalition sollte stolz sein auf das, was sie seit Ostern geleistet hat."Statt Ferienlaune Furcht vor der Basis

Nicht jeder unter den Parlamentariern freut sich so wie Ram-sauer auf die Sommerpause. Ob Christ- oder Sozialdemokraten, es gibt genügend Parteipolitiker, die die Basis fürchten. "Da kriegen wir schon jetzt ordentlich was auf die Mütze", berichtet ein CDU-Abgeordneter aus seinem Wahlkreis. Anders ergeht es dem Kollegen von der SPD auch nicht. Auffallend ist, dass die Schelte den gleichen grundsätzlichen Ursprung hat: Vor Ort heißt es in beiden Lagern stets, man habe dem ungeliebten Partner zu viele Zugeständnisse gemacht. Obwohl besonders das das Wesen einer großen Koalition ist. Die Genossen mosern über die verpasste, umfassende Umstellung des Gesundheitssystems auf die Steuerfinanzierung oder über die Unternehmenssteuerreform, die Unionisten meckern immer noch über das Gleichbehandlungsgesetz oder die mangelnde wirtschaftspolitische Handschrift der Union - sowie inzwischen über die nicht erkennbare Linie der Kanzlerin. Der Frust sitzt allseits tief, weil sich beide Seiten im Regierungsalltag verbiegen und von vielen Versprechungen aus ihren Wahlprogrammen verabschieden müssen. Attacken von außen, Beißreflex nach innen

Gut möglich, dass die Berliner Spitzenkräfte deshalb in den vergangenen Tagen zum Großangriff gegeneinander geblasen haben: So ortet man den Schuldigen für faule Kompromisse erst einmal im anderen Lager. Und es schweißt die eigenen Reihen zusammen. Die Härte der verbalen Auseinandersetzung überrascht. Mancher in Berlin sieht darin einen Beißreflex nach innen durch die massive Kritik an den Koalitionären von außen. Angezettelt wurden die Attacken durch SPD-Fraktionschef Peter Struck, fortgeführt von Vize-Kanzler Franz Müntefering. Und wenn diese beiden loslegen, ist das mit SPD-Chef Kurt Beck abgestimmt. Zielscheibe ist die Kanzlerin, wer sonst. Mit ihr hat vor allem Struck seinen Frieden noch nicht gemacht. Es heißt, das Verhältnis sei nicht erst, aber vor allem seit seinem Vergleich, Gerhard Schröder sei der bessere Kanzler gewesen, zerrüttet. Struck muss Mehrheiten in seiner Fraktion organisieren, deswegen geht er bewusst auf scharfe Distanz zum Koalitionspartner und der Regierungschefin. Für die Union gilt dasselbe: Für die Gegenangriffe sind daher CDU/CSU-Fraktionschef Kauder und General Pofalla zuständig. Die Kanzlerin selbst hält sich lieber bedeckt. "Ich bin sehr optimistisch, dass diese Koalition erfolgreich weiter arbeitet", sagt sie diplomatisch. CSU-Mann Ramsauer erwartet nach der Sommerpause neuen koalitionären Schwung: "Totgesagte leben länger." Die Erholungsphase dauert zum Glück acht Wochen und geht bis Anfang September.

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