Rettet das Biotop!

Zugegeben: Ich bin kein regelmäßiger Konsument des Wortes zum Sonntag. Das hat weniger mit der Sendung an sich zu tun als mit dem Umstand, dass ich samstagsabends die ZDF-Krimi-Sportstudio-Schiene dem ARD-Volksmusik-Hollywood-Mix vorziehe, in dessen kuscheliger Mitte die Verkündigung bislang überwintert hat.

Wenn ich mal reingeraten bin, habe ich gestaunt, wie sprachlich zeitgemäß die Protagonisten sind - jedenfalls gemessen an Pfarrer Adolf Sommerauer, dem frommen Schrecken meiner Jugendtage. Nur die berühmte "Jesus-Kurve" hat sich gehalten, jenes ungeschriebene Gesetz, nachdem das Wort zum Sonntag beginnen kann, wo es will, aber am Ende immer beim lieben Gott angekommen sein muss. Und das soll jetzt weg? Weil "anachronistisch", wie der Zentralrat der Juden meint? Das sehe ich anders. In der täglichen 30Programmemal24Stunden-Fernseh-Dauerberieselung sollte Platz sein für etwas liebenswert Altmodisches: für fünf Minuten Wort. Einfach so. Zum Atemholen. Ja, meinetwegen auch Bierholen, wenn jemand das vorzieht. Jedenfalls ohne Talk, Diskussion, Interview, Bilderflut, Gewinnspiel. Die Programme - auch der Öffentlich-Rechtlichen - sind radikal von allem gesäubert worden, was den glatten Quotenlauf unterbrechen könnte. Früher lief vor der Tagesschau eine ganze Minute die eingeblendete Uhr - kann sich noch jemand erinnern? Das Wort zum Sonntag verdient sein Biotop, gerade zur allerbesten Samstagabendzeit. Das darf man nicht kampflos aufgeben. Und man sollte es auch keinem Ausgewogenheitswahn unterwerfen: 22 Sendungen pro Jahr für die Katholiken, 21 für die Protestanten, vier für die Moslems, je eine für Neuapostolische, Zeugen Jehovas, Juden, Orthodoxe und Buddhisten, aufgrund der Mitgliederzahlen zugeteilt wie die Wahlspots der Parteien - eine gruselige Vorstellung. Und was machen wir mit den organisierten Atheisten? Soll das ZDF doch ein Wort zum Freitag für Islam-Gläubige einrichten. Finde ich klasse. Vielleicht macht 3Sat das Wort zum Sabbat. Es ist Platz genug für vieles im Fernseh-Universum, und mir ist alles, was zum Denken anregt, lieber als noch eine Sendung, in der man anrufen soll, um zu raten, wie Angela Merkel mit Vornamen heißt. d.lintz@volksfreund.de

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