Revolution im gallischen Dorf

STREMPT. Ganz Deutschland stimmt am 13. Juni lediglich über die EU-Abgeordneten ab. Ganz Deutschland? Nein. Im Mechernicher Ortsteil Strempt (Kreis Euskirchen) dürfen alle Wahlberechtigten zudem auch über die europäische Verfassung abstimmen - eine Revolution in der Bundesrepublik.

Initiative "Gallisches Dorf": Schon der Name mutet Aufmüpfigkeit an. Doch den leidenschaftlichen Demokraten der bundesweiten Bürgeraktion "Mehr Demokratie" und der Unabhängigen Bürgervereinigung (UBV) in Mechernich-Strempt (Nordrhein-Westfalen) geht es um mehr. "Wir wollen den Politikern Mut machen getreu Willy Brandts Motto ,Mehr Demokratie wagen'", sagt Daniel Schily, NRW-Landesgeschäftsführer von "Mehr Demokratie". Es gehe darum, dass die Menschen abstimmen wollten, wenn es um ihre Anliegen gehe. Dabei hat der Neffe von Bundesinnenminister Otto Schily ein besonderes Anliegen vor Augen: den europäischen Verfassungsentwurf."Demokratische Möglichkeiten aufzeigen"

Sofern sich die Staats- und Regierungschefs der 25 EU-Länder über den Wortlaut einigen können, wollen Länder wie Großbritannien, Dänemark und Irland die Bevölkerung über die Annahme einer europäischen Verfassung entscheiden lassen. Auch in Frankreich und Spanien mehren sich die Stimmen für Referenden. Deutschland bleibt allerdings dabei, dem Parlament die alleinige Entscheidungsmacht zu überlassen. Dies findet man in Strempt gar nicht gut - und probt den Aufstand. Denn in dem 1000-Seelen-Ort wird für Deutschland einmalig dennoch über das EU-Werk abgestimmt. "Wir wollen die Menschen auf ihre demokratischen Möglichkeiten aufmerksam machen - hier vor Ort", sagt Ortsvorsteher Wulf-Dietrich Simon. Dazu bekomme jeder der 800 Wahlberechtigten ein "Stimmungsbüchlein" mit zehn Gründen für und zehn Gründen gegen eine EU-Verfassung, eine Abstimmungskarte und einen Verfassungsentwurf. "Wir demonstrieren, dass eine vernünftige Debatte über die Europapolitik möglich ist. Befürchtungen, dass ein ,falsches' Ergebnis dabei rauskommt, treten wir damit entgegen", sagt Daniel Schily von "Mehr Demokratie". Seit 16 Jahren setzt sich der Verein für Volksbegehren und Elemente der direkten Demokratie in Deutschland ein. Unter anderem in Bayern und Hamburg haben die Initiatoren es geschafft, lokale Bürgerbegehren einzuführen.Um nun aber die reale Europawahl und die fiktive Verfassungswahl nicht zu verwechseln, gibt es in Strempt am 13. Juni zwei Wahllokale: für die Europawahl in der St. Michael-Schule und für die Verfassungswahl im Pfarrheim. Kuriosum am Rande: Das Pfarrheim war bis vor kurzem selbst offizielles Wahllokal, so dass "Mehr Demokratie" und UBV davon ausgehen, dass einige Wähler aus alter Gewohnheit erstmal ins Pfarrheim kommen. Ohnehin geht Daniel Schily von einer gehörigen Portion Revoluzzer-Denken aus. "Die Strempter fühlen sich wie Asterix und Obelix. Und wenn die Wahlurne geschlossen ist, gibt es Sekt und Häppchen", wirbt der Organisator.ZDF berichtet live aus Strempt

Dennoch lassen Strempt und sein Ortsvorsteher auch den nötigen Ernst bei der Abstimmung über die EU-Verfassung nicht vermissen. So gehe es auch um eine "objektive Information und eine rege Wahlbeteiligung und weniger um ein bombiges Ergebnis", sagt Wulf-Dietrich Simon. Der UBV-Politiker weiß, dass direkte Demokratie bei den Wählern vor Ort ankommt. Immerhin gehören die "Freien" in Mechernich und dem Nachbarort Kommern (beides Kreis Euskirchen) zu den ältesten freien Wählergemeinschaften in Nordrhein-Westfalen und sind derzeit die drittstärkste kommunale Kraft. Dass letztlich die Initiative "Gallisches Dorf" an seinem Esszimmertisch perfekt gemacht wurde, macht den Ortsvorsteher und Wahlleiter stolz. Immerhin ist sein Ort nun in aller Munde, der Medienrummel hat die Bürger aufgeschreckt, und das ZDF will gar am Wahlabend live aus Strempt berichten. Doch besser als jetzt schon könnten Strempt und der Kreis Euskirchen ohnehin kaum für die Europäische Union "werben": Das Autokennzeichen der Voreifeler lautet schließlich "EU".

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